Wie sich die Villinger damals gaben, zögerten und sich zurückzogen
„Morgen brechen wir auf!“ – So lautete die Parole jener Revolutionäre, die sich vor 175 Jahren von Villingen aus in den legendären Zug einreihten, zu dem am 12. April 1848 in Konstanz Friedrich Hecker aufgerufen hatte und der von ihm und seinem Weggefährten Gustav von Struwe zum Sitz der badischen Regierung in Karlsruhe führen sollte.
Der „Traum von einer Deutschen Republik« erfasste auch die Villinger.
Im Großherzogtum Baden rumorte es schon lange vor Ausbruch der Revolution. Denn im fünften Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts waren nicht nur Missernten ein hartes Los für die Landwirte, weshalb sie nach Kälte, Trockenheit und Fäulnis die kläglichen Reste des minderwertigen Getreides erst vom Feld bringen konnten und durften, wenn der Rent-Amtmann als Staatsbeamter sich jede zehnte Garbe angeeignet hatte.
Der Zehnte war fällig auch bei Kartoffeln, den Trauben oder dem lokalen Schlachtergebnis.
Not und Teuerungen der Jahre 1845 bis 1847 machten deutlich, wie unhaltbar und erschreckend die Abhängigkeit der Bauern auch um Villingen von ihren Feudalherren war.
Die aufständische Bauernbewegung begann im Odenwald, wo die Landwirte auf den Besitzungen des Fürsten von Leiningen besonders misslich betroffen waren.
Schon im April 1847 richtete sich der Inhalt eines anonym erschienenen Flugblattes an „Brüder und badische Mitbürger!“, endlich aufzuwachen, um sich auch mit Körperkraft für die Freiheit einzusetzen.
Die Forderungen – wider den Adel und die Juden und für den Freistaat wie in Amerika – gipfelten in der Absicht, auch zugleich alle Beamten aus dem Amt zu jagen oder am besten zu liquidieren.
Die gestörte öffentliche Ordnung und Ruhe wurde zwar zunächst mit militärischer Präsenz durch Soldaten aus Mannheim und Bruchsal wieder hergestellt, doch waren es nicht Exzesse proletarischer Schichten, die das Zeichen zum Aufstand gegeben hatten.
Es waren vielmehr Gemeinden samt Bürgermeistern und Gemeinderäten, die allerorten vom Adel den urkundlichen Verzicht auf Bannrechte, Jagd-, Fischerei-und Weiderechte, Drittel-Pflichtigkeit oder Abzugsrecht forderten, wobei
Letztgenanntes all jenen ihr Hab und Gut minderte, die von Baden, auch aus Villingen, nach Amerika auswandern wollten. Dazu entschlossen sich während und nach den beiden Revolutionsjahren 80000 Badener.
Friedrich Hecker, gebürtig im badischen Eichtersheim, wirkte seit 1838 als Obergerichts-Advokat in Mannheim und kam 1842 in die Zweite Badische Kammer.
Seine sozialdemokratischen Ansichten hatte er so vehement vertreten, dass er jedoch seine politischen Freunde verlor. Und weil er keine Mehrheit fand für seinen Vorschlag, die Steuer zu verweigern bis zu deren Reform, legte er im März 1847 sein Mandat nieder und war mit Gustav von Struwe federführend im September bei der »Offenburger Versammlung«.
Aus deren Mitte entstand das Programm vom 12. September 1847 mit fast schon sozialdemokratischen Forderungen, wie das Meyersche Konversationslexikon 1897 festhält:
Das Militär ist auf die Verfassung und nicht auf den Großherzog zu vereidigen, Steuern sind progressiv zu erheben, die Missverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit sind abzubauen.
Nach dem Jahreswechsel erzählte man sich in den letzten Tagen des Februar 1848 auch an Villingens Stammtischen längst von der Revolution in Frankreich und der neuen Freiheit, die dort erkämpft worden sei.
Neuerlicher Grund für die einfache Bevölkerung, dem Aufruhr nachzueifern, das Rent-Amt zu stürmen und die Beamten zu verjagen.
Genau dazu kam es in Schweigern, in Boxberg und in Ballenberg. Eine „agrarische Bewegung“ wider die Standes- und Grundherrschaften in Nordbaden, während um die Fasnachtstage 1848 für den „Seekreis“ des Oberlandes schon eher eine politisch-revolutionäre Verhetzung zu erkennen war.
Daran hatten wohl auch die „Seeblätter“ des Joseph Fickler Schuld.
Der Konstanzer Kaufmann hatte 1830 ein Wochenblatt mit liberaler Tendenz zur Opposition gegründet und wurde bei bester Reputation Obmann im Bürgerausschuss seiner Heimatstadt.
Als Verleger und Redakteur schürte er in seinen „Seeblättern“ die latente Stimmung, endlich das Joch der Knechtschaft, die Tyrannei abzuschütteln.
Wohl deshalb sahen die Großherzoglichen Amtsleute in ihren Bezirken – Villingen, Donaueschingen, Jestetten, Hüfingen und Bonndorf – eine bedrohliche Stimmung aufkommen
Befürchtetet wurde ein Ausbruch gegen standesherrliches Eigentum, wozu die Meldung vom Bonndorfer Amtsvorstand passte: „Es werden Sensen geschliffen und Pulver wird eingekauft. Jetzt geht’s wohl hinter den Herren her!“
Friedrich Hecker gehörte zu jenen entschlossenen Patrioten, für die es nach Kenntnis der Ereignisse in Paris an der Zeit war, die Forderungen des badischen Volkes aufzustellen.
Eine Petition vom 27. Februar 1848 an die Zweite Kammer wurde am folgenden Tag in einer großen Volksversammlung in Karlsruhe angenommen. Viele Exemplare davon erreichten alle Gegenden Deutschlands. Hecker beschreibt wenig später im April seine Erinnerung daran, wie sein Katalog an Forderungen wohl auch in Villingen ankam.
Großherzog Leopold reagierte indes schnell. „Meine Badener“, so forderte er in seinem Regierungsblatt auf, „mögen Beispiel geben in der gesetzlichen Entwicklung der Freiheit und der Ordnung eines glücklich fortschreitenden Volkes“. Er brachte ein Gesetz ein, das die Feudallasten aufheben sollte.
Hecker war in jenen Tagen noch deutlich entfernt von jenen gewaltsamen Streichen, wie Gustav von Struve sie am 1. März verfolgte. Der nämlich provozierte mit einem Zug gegen das Ständehaus in Karlsruhe den Konflikt mit den Vertretern der polizeilichen Ordnung. Er wollte blutige Köpfe hüben und drüben, um über Volksverhetzung neue Anschläge anzuzetteln.
Doch Hecker wies ihn und die Massen öffentlich und recht grob zurecht, spürte er doch noch sein gesundes Verantwortungsgefühl als unabhängiges Mitglied einer parlamentarischen Körperschaft.
Nach heftigen Verhandlungen imnKarlsruher Parlament folgten weitere Versammlungen des Volkes in den Bezirksstädten Badens; so auch in Villingen am 5. März 1848, auch wenn man weit vom Zentrum der Revolution entfernt war und die Wogen der Erregung abgeebbt ankamen.
Aus den „Seeblättern“ des Konstanzer Handelsmannes Josef Fickler wusste man zwar auch in Villingen, dass im Seekreis ein Herd der Bewegung kräftig brannte, doch war Fickler nur dort der Mann des Volkes, dem die Bevölkerung blind und fanatisch folgte.
In Villingen war die Seele der Bewegung der damals 34-jährige Arzt Karl Hofmann.
Er war der Sohn eines Großherzoglichen Försters in Dettingen und praktizierte in Villingen seit 1839. Hofmann war zunächst nur Stellvertreter des bisherigen Stadtarztes, behandelte im Spital und bei den Stadtarmen, blieb aber lange Zeit ohne angemessene Bezahlung.
Er stärkte schließlich seinen Status durch die Heirat mit Franziska Kammerer, der Tochter des angesehenen Posthalters, und wurde als neuer Stadtarzt auch der hiesige Armenarzt für 50 Gulden im Jahr.
Aus Interesse für die Stadtpolitik wirkte er von 1843 an im Kleinen Ausschuss. Mit seiner politischen Haltung schuf er sich jedoch bei den eingesessenen Familien eher Feinde.
Hielt man ihn auch stets für einen tüchtigen Arzt, mäßig in seinen Forderungen als Akademiker und ohne egoistische Einstellung, doch ständig in Geldnot, weshalb er wohlhabende Bürger öfters um kleinere Darlehen bat.
Eine Tatsache, die seine Gläubiger später als politische Gegner umkehrten und ihm vorwarfen, dass er üppig und verschwenderisch gelebt habe.
Hoffmann hatte zur Versammlung für Sonntag, 5. März, ins Alte Rathaus einberufen. Es galt, die Petition an die hohe zweite Kammer in den Angelegenheiten für Volk und Vaterland zu besprechen. Möglicherweise war den Villingern die Fasnacht in jenen Tagen viel wichtiger, doch war die Versammlung so gut besucht, dass viele keinen Platz mehr bekamen.
Der Arzt Karl Hoffmann hatte seiner Einladung an die Gemeinderäte und an die Gemeindebeamten zur Volksversammlung am Sonntag, den 5. März je ein Exemplar der Mannheimer Petition aus der Woche zuvor beigefügt. Dies löste beim Bürgermeisteramt gar eine Anzeige an das Bezirksamt im Kaiserring aus: Die Versammlung könne wohl nicht verhindert werden, auch in anderen Städten sei derartiges schon vorgekommen und geduldet worden. „Rätlich“ sei allerdings, dass man durch die gebotene Präsenz der Gemeinderäte die Ordnung erhalte. Der Gemeinderat möge auch eine Bürgerwehr aufstellen, über deren Mitglieder und deren Einteilung man sich allerdings beraten möge.
Aus der Versammlung nur für die Bürger der Stadt verfasste man schließlich eine Petition an die Volksvertretung in Karlsruhe, deren zehn Forderungen von 500 Unterschriften gezeichnet waren:
Bewaffnung des Volkes mit Wahl der Offiziere, unbedingte Pressefreiheit, Einsetzung von Schwurgerichten, Wahlen zu einem deutschen Parlament, Verantwortlichkeit der Minister, Eid des Militärs auf das Volk, Freiheit des Glaubens, Berechtigung beider Kammern zu Gesetzesinitiativen, Abschaffung
der indirekten Steuern, Öffentlichkeit bei der Verwaltung des Kirchen- und Stiftungsvermögens, Abschaffung der Stände und Gleichheit vor dem Gesetz.
Eine Bürgerdeputation aus vier Mitgliedern sollte am nächsten Tag die Petition nach Karlsruhe bringen. Was den Villingern schließlich und einigermaßen recht war, blieb den Donaueschingern vier Tage später als Pflicht.
Von 4000 bis 6000 Teilnehmern an einer Versammlung am 8. März bei breiter Zustimmung war zunächst in den Zeitungen die Rede, doch hatten wohl auch die beiden Villinger Gemeinderäte Weber und Schmid daran ihre Zweifel, die man zur Beobachtung nach Donaueschingen abgeordnet.
Dort waren die Reden der Volksführer in Donaueschingen wohl nicht sonderlich zündend, die Vertreter der Presse waren jedenfalls unbefriedigt. So blieb auch der zunächst befürchtete Sturm der Massen auf das fürstenbergische Schloss aus.
Hatte doch auch der Fürst zuvor erklären lassen, dass er von jenen Lasten, welche dem Zeitgeist widerstreben und das Volk abgeschafft wissen will, so viele wie möglich beseitigen werde.
Dass plötzlich auch von ‚Raubgesindel‘ die Rede war, das plündere oder gar brandschatze, war wohl als zweifelhafte Information von der Volksversammlung am 1. März in Karlsruhe in den Bodenseekreis gedrungen.
In Hüfingen ließ man deswegen eine Bürgerwehr patrouillieren und in Schwenningen ließ der Gemeinderat Sicherheitswachen aus Freiwilligen einrichten, weil man „Raubgesindel aus Richtung Villingen“ fürchtete.
Für Villingen fand die zweite große Volksversammlung für den ganzen Bezirk am 14. März statt, bei erstmals wehenden schwarz-rot-goldene Fahnen entlang der Hauptstraßen und mit Rosetten bestückt prangten Kokarden in ebensolchen Farben an Kappen und Hüten der erwartungsvoll aufgeregten Menge.
Trotz ungünstiger Witterung waren am 14. März 3000 Menschen aus dem gesamten Amtsbezirk, von der Baar und sogar aus württembergischen Orten in Villingen zusammengekommen; 40 auch aus Rottweil.
In der Rietstraße harrte die Volksmenge auf den Villinger Arzt Karl Hoffman, der um 10 Uhr vom Balkon am Haus der Stadtapotheke im Auftrag des Volksausschusses die Versammlung begrüßte.
Er tadelte das bisherige lahme Wirken des Deutschen Bundes, weshalb jetzt der Augenblick günstig erschien, die verfassungsmäßigen Rechte zu erlangen. Hoffmann verlas noch einmal die Petition vor mit inzwischen 13 Punkten. Weitere Redner waren der Advokat Rudolf, der die Bedeutung der Schwurgerichte betonte, es folgten Grußworte der Kapläne Dietz und Moll, die beide zu Eintracht und Festigkeit ermunterten.
Wirtschaftlich-finanzielle Vorteile machte Georg Schultheiß populär. Der Redakteur des „Uhrengewerbeblatts“ bewertete die Vorteile aus den erwarteten Folgen der Petition gar mit fünf Millionen Gulden. Die Reihe der Vorträge schloss Pfarrer Josef Oberle aus Aasen. Er forderte die Einigkeit von Fürst und Volk.
Am nächsten Tag las man in der Zeitung „Der Schwarzwälder“, eigentlich schon damals großherzogliches Amtsblatt, dass mit der Ansprache von Pfarrer Oberle „das Fest“ geendet habe. Eine Formulierung, mit der sich ein unpolitischer Geist der Gattung „Berichterstatter“ entlarvt hätte, wenn der eine hochpolitische Versammlung mit einem Volksfest gleichsetze, wo man doch viel eher eine ganze Staats -und Gesellschafts-Ordnung über den Haufen zu werfen gedenke. Wie der Tag schließlich geendet habe, war echtestes Biedermeier mit all seiner harmlosen Freude an Gastereien, Bewirtung und Gemütlichkeit (Paul Revellio).
Die vermeintliche Festfreude geriet gegen 14 Uhr in eine neuerliche Spannung. In der Stadt verbreitete sich die Nachricht, dass Karl Mathy, Landtagsabgeordneter für die Stadt Konstanz und populärer politischer Kopf, begabt und mit hohem volkswirtschaftlichen Sachverstand, in Begleitung des Abgeordneten Straub von Karlsruhe aus in Villingen eingetroffen sei.
Mathy war wohl von Staatsminister Bekk in die Städte des Seekreis beordert worden, um auf die alarmierenden Nachrichten von dort als ruhig und besonnen geltender Liberaler, wenn auch als kaltblütig und scharf im Wort bekannt, die Wahlkreise zu beruhigen. Mathy hatte sich wenige Tage zuvor wegen der Geschäftsordnung im Landtag bei der Kammersitzung am 1. März mit Friedrich Hecker überworfen, obwohl Minister Bekk als erstes wieder die Gültigkeit des „badischen Pressgesetzes“ vermeldet hatte. Liberale und Radikale hatten allen Grund, den Reformwillen im Land mit-zutragen. Bestanden die alten Gewalten auch nicht mehr an der Oberfläche, so grollten sie doch im Verborgenen weiter.
Man wartete nur darauf, dass sich der Übermut der verhassten Liberalen gewaltsam doch noch gegen die monarchische Ordnung kehre. Dies soll nach Augenzeugen dazu geführt haben, dass Hecker auf der Volksversammlung am 10. März in Offenburg dem heißblütigen Fickler aus Konstanz mit scharf geladener Pistole das Versprechen abzwang, dass dieser die Torheit noch nicht begehe, die Republik jetzt schon auszurufen. Trotz allem hatte Mathy den schweren Auftrag, das Volk auch in Villingen von vom großen Entgegenkommen der Regierung zu überzeugen. Dessen Nachrichten aus der Residenz-Stadt wurden von der örtlichen Presse unterstützt.
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Die Landtagsabgeordneten Mathy und Straub waren am 14. März in Villingen eingetroffen, um die aufgeschäumte Volksseele im Auftrag der Regierung zu beruhigen. Sie berichteten von personellen Wechseln in Karlsruhe und von zumeist erfüllten Wünschen, die man an den Landtag gerichtet hatte. Ein Manifest werde ab dem 15. März alles bestätigen.
Wie sich später Gustav Freitag als Mathys Biograph erinnert, traf man in Villingen zwar auf liberale Gesinnung, aber auch auf Abneigung gegen jeden Aufstand. Die beiden Kammermitglieder wurden schließlich zum „Gasthof zur Blume“ am Marktplatz geleitet. Dort reichte der Gastraum jedoch kaum aus für die neugierigen Anhänger der beiden Abgeordneten.
Die Oberle-Chronik betont zur Stimmung von damals:
„Jetzt erst ließ man der herzvollen deutschen Gemütlichkeit ihren freien Lauf. Der Scherz bot dem Ernste die Hand. Man trank darauf, dass der erwachte deutsche Michel nicht mehr einschlafe. Man stieß an auf das Wohl der Vereine, auf die Schützen, die Turner und die Sänger als den Vorkämpfern deutscher Einigkeit und Freiheit. Klang und Sang, Blick und Wort, alles verkündete, dass die ganze Versammlung nur ein Herz habe voll Vertrauen auf sich und eine schöne Zukunft“.
Als politisches Ergebnis vom 14. März werteten die Villinger ihre Petition: Die endliche Erfüllung der gerechten Forderung des Volkes betreffend, die von 1712 Unterschriften gezeichnet war. Deutlich mehr als die 500, die schon am 5. März der Versammlung zugestimmt hatten.
In jenen Tagen wird zwar die Bezirksgemeinde aufgefordert, die Volksbewaffnung durchzusetzen, doch finden sich kaum Freiwillige für eine Bürgerwehr.
Die Gemeindeverwaltung hebt dennoch das Bürgermilitär auf, übernimmt dessen Schulden und gelangt dadurch in den Besitz von Waffen, Gerätschaften und Musikinstrumenten. Ab sofort liegt die Befehlsgewalt beim Gemeinderat.
Weil die Liberalen drauf und dran waren, ihre Opposition aufzugeben, hatte sich Joseph Fickler, Verleger und Volks-führer aus Konstanz, für den 14. März beim Villinger Volksausschuss angemeldet, um als Redner für die Republik zu werben. Man verbat ihm jedoch seinen Auftritt. Als sich Fickler auch noch von einer Clique potentieller Steinewerfer bedroht sah, zog er frustriert nach Triberg weiter.
Denn Heckers launenhaftes, exzentrisches Wesen machte ihm seine Haltung als Volksführer schwer, weswegen alle gemäßigten Kreise in Baden überrascht wurden durch einen Aufruf für Sonntag, den 19. März, nach Offenburg zu kommen. Verfasst hatte ihn von Struwe, unterzeichnet hatten ihn auch Hecker, Itzstein, Welcker und von Soiron.
Gerichtet war er an alle Stände. Viele Tausend kamen, „um hier einige köstliche Stunden des neu angebrochenen Volksfrühlings zu kosten“. Statt bewaffneter Empörung und Bürgerkrieg eher ein kindlich-treuherzi-ges Volk, einträchtig und unverhetzt.
Mit dabei 16 bewaffnete Villinger. Der Konstanzer Ausschuss für Volksbewaffnung hatte auch die Gemeinde Villingen schriftlich dazu aufgefordert, man möge bis zu sechs Männer bevollmächtigen, jeglichen Beschlüssen in Offenburg zuzustimmen.
Bewaffnet, mit Munition, mit Proviant aus einem Kanten Schwarzbrot und geräuchertem Fleisch waren als Vertreter aus Villingen Gemeinderat Schmid und der Färbermeister Johann Schleicher als Ausschussmitglied nach Offenburg entsandt worden. Beschlossen wurden schließlich Volksvereine für jede Ge-meinde, darüber Bezirksvereine, Kreisver eine und ein Landesverein, in den auch Hecker bestimmt wurde.
Beste Voraussetzungen für den radikalen Struwe, über ein Netz an Volksvereinen gegen die konstitutionelle Freiheit agieren zu können.
Förderers Zeitung »Der Schwarzwälder« hatte die betulichen Villinger auf die spektakuläre Versammlung vom 14. März auch auf den erwartungsvollen Geschmack nach weiteren Ereignissen gebracht: „Vor uns liegt ein glücklich Hoffen, liegt der Jugend goldene Zeit, steht ein ganzer Himmel offen, blüht der Freiheit Seligkeit“.
Mit solch tendenziöser Wortwahl wurden für die Volksvereine und einer Versammlung der erwarteten 20 000 am 19. März in Offenburg auch die politische Agitation polemischer und im Ton schärfer: „Die Pfaffen haben zu viel und die Lehrer zu wenig!“, war zugleich eine Forderung nach Trennung von Schule und Kirche.
Als zu solchen Sprüchen das Gerücht von Rottweil über Schwenningen in Villingen ankam, dass eine Horde bewaffneten Gesindels, eine Bande mit 2000 bis
3000 Personen, von Frankreich aus bei Offenburg plündere, war die Erregung auf diesen „Franzosenlärm“ vom 24. und 25. März 1848 komplett. Doch an der Geschichte war kein Wort wahr.
Derweil ging im Bezirk Villingen die Auflehnung gegen die Staatsgewalt weiter: Rekruten der gezogenen Jahrgänge sollten keine mehr einrücken! Als Führer der Volksbewegung in Villingen teilte auch der Arzt Karl Hoffmann dem Bürgermeisteramt dies als Beschluss mit: „Dies zur Nachricht und beliebigen Benehmen – 26. März 1848“.
Doch der Villinger Gemeinderat schließt sich einem Verhalten, wie es in Donaueschingen und Hüfingen akzeptiert wurde, nicht an.
Im Gegenteil. Erklärten doch sechs junge Rekruten mit Marschorder auf dem Rathaus, dass sie ihren Stellungsbefehl nicht verweigerten und sie sich vom Volksverein auch nicht aufhalten ließen.
Die sechs Freiwilligen baten den Gemeinderat, sie zu unterstützen, worauf dieser den Abmarsch gewährte. Revolutionär und demokratisch engagiert kam es am 2. April zur eigentlichen Wahl des endgültigen Volksausschusses.
Ihm gehörten an Karl Hoffmann, der Kaplan Nikodemus Diez, Kaplan Wunibald Moll, die Gemeinderäte Johann Schmid und Anton Weber, der Färber Johann Schleicher, Tierarzt Aloys Schilling, Buchhändler und Verleger Ferdinand Förderer, Stadtrechner Martin Maier, Fabrikant Karl Rasina, Rechtsanwalt Jakob Rudolf, Altbürgermeister Josef Vetter, Bezirksförster Friedrich Hubbauer und der Akkordant im Bau-Kleingewerbe Johann Neidinger.
Die örtlichen und regional engagierten Anhänger der Revolutionsbewegung hatten inzwischen auch öffentliche Bekenntnisse abgegeben, waren sie doch als Abgeordnete für Offenburg in den Landesausschuss berufen worden und dann auch noch ins „Vorparlament“ nach Frankfurt. Mit dabei auch Xaver Götz aus Hüfingen. Mit den Wahlen zum Volksausschuss für Villingen am 2. und 3. April kam es auch zu ersten Aktionen, die die öffentliche Ruhe und Ordnung störten.
Doch die Versuche, das Amtsgebäude zu stürmen, die Person des Oberamtmann Blattmann zu attackieren und sich an dessen Eigentum zu vergreifen, wurden verhindert.
Zu entschlossen waren die Vertreter der Gemeindebehörde, zu aufmerksam die Bürgerwache und ein Großteil der Bürger. Die Gewaltbereitschaft einiger weniger wurde im Keime erstickt.
Diese strafbaren Handlungen passten ganz gut zu einer schriftlichen Drohung, die eine Magd bereits am 5. März auf der Rathaustreppe gefunden hatte:
„An das liederliche Oberamt dahier! Gute Warnung: Wenn du nicht herabsetzest den Tax vom Brot, so wird ein Kugel sicher dein Todt. Die Nemesis 1848“ (griech. Göttin oder strafende Gerechtigkeit).
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Manche der Villinger, die am 6. April nach Donaueschingen zogen, taten dies nicht ganz freiwillig. Man hatte sie zu diesem „Waffengang“ genötigt, indem sie von zwei, drei örtlichen Revolutionären abgeholt und zum Einsatz gezwungen worden waren.
Villingens Kommandant Hubbauer und Inspektor Fischer hatten tags zuvor die Wehrmannschaft bereits avisiert: ein stattlicher Heerbann mit Musikkorps, Bürgerwehr, das Schützencorps, 73 Mann stark, drei Kompanien mit je 280 Mann und schließlich 475 Sensenmänner, denen man aus der Stadtkasse jeweils 30 Kreuzer Sold gezahlt hatte.
In den Tagen darauf war Villingens Führer Hoffmann wieder als Deputierter dabei, als weitere politische Forderungen nach Karlsruhe überbracht wurden.
Für nachrichtliche Überraschung sorgte dann aber zum einen der Aufzug bayrischer, hessischer und Württembergischer Truppen an der Staatsgrenze und die Tatsache, dass der Abgeordnete Mathy am 8. April Josef Fickler auf dem Karlsruher Bahnhof hatte verhaften lassen, galt dieser doch als Seele der revolutionären Bewegung im Oberland.
Ein schwerer Schlag, wie der Bezirksausschuss in Triberg feststellte, wo man am 9. April auch Hecker erwartet hatte.
Hecker aber war über das Elsaß und durch über die Schweiz nach Konstanz gereist, um dort die Republik auszurufen. Von dort rief er auch die Villinger auf, sich mit allen waffenfähigen Männern auf Freitag, 14. April, mit Waffen und Munition und mit Proviant für sechs Tage in Donaueschingen zu treffen.
Und auch für Struve war Donaueschingen der strategische Punkt für den Fußmarsch nach Karlsruhe.
Doch auf sein Schreiben an die Villinger kamen von dort zunächst die Kaplänen Moll und Dietz, mit den Gemeinderäten Weber und Neidinger und dem Stadtrechner Maier, um sich über Struves Absichten aufklären zu lassen. Als man ihnen erklärte, kein General eröffne seinen Plan vor der Zeit, weigerte man sich, blindes Werkzeug für die Zwecke einer Partei zu werden.
Lediglich 100 Mann aus den Bürgerwehren in Villingen, Donaueschingen, Hüfingen, Fützen und Grimmelshofen waren schließlich als gemeinsames Korps auf den 15. April bei Struve erschienen.
Der jedoch musste sich dem Ultimatum des württembergischen Generals unterwerfen, seinen Standort binnen einer halben Stunde zu räumen.
Eine widrige Tatsache auch für Hecker, der mit seinen Freischärlern über Pfohren und Sumpfohren auswich und in Riedböhringen Nachtquartier nahm
Von Stühlingen aus gings durch den Schwarzwald ins Wiesental und nach Kandern, wo Heckers Anhänger, von Wind und Wetter, von Hunger und Auszehrung gezeichnet, nach kurzem Kampf mit hessischem Militär völlig unterlegen aufgerieben wurden.
Ohne weitere Kenntnis zum Geschehen beschlossen einige Villinger, gegen eine Zahlung aus der Stadtkasse, Hecker zu unterstützen, ohne zu wissen, dass der revolutionäre Volkstribun sich schon in die Schweiz abgesetzt hatte.
Bevor die Kolonne als das letzte Aufgebot der Villinger mit 87 Freiwilligen schließlich am 24. April loszog, waren Bürgermeister Stern und Gemeinderat Jakob Neidinger „freundlich geschäftig, den Zug zu ordnen und Fehlendes herbei zu schaffen“ (Revellio).
Dem Villinger Häuflein eilten indes die Gemeinderäte Weber und Schillinger voraus, die allerdings in Denzlingen von fliehenden, fahnenflüchtigen Freischärlern über die Niederlage aufgeklärt wurden. Weber und Schillinger kehrten um und trafen in Furtwangen auf eine bereits vom Mangel und dem Wetter erschöpfte Villinger Kolonne, die nun vollständig entmutigt wurde.
Es war in jenen Tagen des April 1848, als Unbekannte am Marktbrunnen in Villingen einen Freiheitsbaum errichtet hatten. Das Oberamt erließ jedoch den Befehl, diesen umgehend wieder zu beseitigen.
Die Revolution – gescheitert!