August Ummenhofer Jhg. 1899 – 1975 verfasste er seine Erinnerungen an seine Stadt
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Im Jahre 1899 feierte man in meiner Geburtsstadt Villingen die 900-Jahrfeier zur Erhebung der Stadt mit deren neuem Münz-, Zoll- und Marktrecht, gegeben zu Rom, verliehen an Graf Berthold von Zähringen.
Eigentlich geschah dies 14 Tage später als geplant, denn unser Großherzogs Friedrich I. von Baden war zunächst verhindert.
Und, als ob’s hätte sein müssen, es gewitterte zunächst zum Festwochenende und tags drauf herrschte „eitel Sonnenschein“.
In der damals friedlichen, ruhige Zeit spielten wir Kinder auf Straßen und in den Gassen, und wenn es uns sonntags langweilig wurde, ließen wir wahrlich „die Sau raus“.
Meine Schwester Frieda hatte dabei das Kommando. Wir hatten nämlich in der Bäckerei unseres Vaters auch einen kleinen Stall: „Kommt, wir lassen die Sauen raus!“
Und dann war die Gaudi perfekt, denn die zwei Viecher sausten auf der Brunnen- und Färberstraße umher und wir später alle Mühe, die zwei Borstentiere wieder in den Stall zu bringen.
Im Jahre 1906 fand in Villingen und Schwenningen ein mehrtägiges Manöver statt. Wie auch andere Familien bekamen auch wir Einquartierung. Quartiermacher schrieben mit Kreide Buchstaben an die Haustür: ein M hieß ein Mann, ein G hieß ein Gefreiter.
Diese verschiedenen soldatischen Mannsbilder gehörten alle zum 1. Bad. Leib-Grenadier-Regiment 109 in Karlsruhe.
Während also deren Manöverzeit in unsere großen Ferien fiel, hatten wir in und um die Stadt ein reges Leben.
Vor allem wir Buben hatten es damals besonders wichtig. Wurde für das Manöver „Halt“ geblasen, rangelten wir Villinger Buben uns des Öfteren mit den Schwenninger Buben oder auch umgekehrt.
Im Jahre 1907 eröffnete man in Villingen die große Gewerbe- und Industrieausstellung; so eine große Ausstellung gab es zuvor noch nicht.
Als Gelände vor dem Oberen Tor nutzte man für sechs Wochen die Amtmannwiese mit großem Vergnügungspark, mit Rodelbahn, Kino, Karussell und allem möglichen an Schießbuden und noch mehr solcher Vergnügungen.
Alles in der Ferienzeit und sechs Wochen kein Regen.
Der Großherzog selbst war erschienen, und wir Kinder bekamen wohl deshalb eine Wurst und einen Wecken. Die Karussells fuhren für uns frei und wohl auf Kosten des Großherzogs.
Auch die fürstlichen Honoratioren derer von Fürstenberg kamen nach Villingen, und es gab wieder eine Wurst mit Wecken für die Kinder.
Für die Villinger Feuerwehr eine Zeit, über Tag und Nacht Wache auf dem Gelände zu halten. Nach der Ausstellung wurde dieser Platz als Stadtgarten hergerichtet.
Ab 1905-1909 stand die Münsterrenovierung unter Stadtpfarrer Scherer an. Scherer starb1912 nach langer Krankheit.
Im Jahr 1908 geschah der große Brand von Donaueschingen. Am 5. August 1908 brannten 70 Häuser und 40 Scheunen ab. In großer Aufregung und viel Durcheinander gab der Fürst von Fürstenberg dem Feuerwehrhauptmann von Triberg eine Ohrfeige, worauf der Fürst als Sühne einen netten Betrag an das Rote Kreuz in Triberg abführte.
Am selben Tag brannte auch das Zeppelin-Luftschiff in Echterdingen nieder. Als Folge dieses Brandes wurde in Deutschland für den Grafen gesammelt, der sein ganzes Vermögen für diese Erfindung ausgegeben hatte. Das ergab einige Millionen, und der Graf konnte an seinen weiteren Plänen festhalten.
1910 waren wieder in unserer Gegend Manöver. Schiedsrichter in diesem Manöver war Prinz Max von Baden, später letzter Reichskanzler unter Kaiser Wilhelm II.
Meinem Großvater Engelmann, der dem Prinzen bei einem Halt kurz das Pferd hielt, schenkte der Prinz 100 Sport-Zigaretten. Von diesen 100 Stück gab der Großvater keine einzige her, die rauchte er alle selber.
Im Jahre 1911, das eine sehr gute Ernte abgab, hatten wir ein starkes Erdbeben, das so ziemlich alle Einwohner in Schrecken versetzte und alles vor die Häuser lief. Es war im November nachts um 1/2 Elf Uhr.
Der Untergang der „Titanic“ brachte eine tragische Information in unser Leben.
Das Schiff wollte das Blaue Band des Ozeans erringen und stieß im Atlantik mit einem Eisberg zusammen, wodurch der größte Teil der Passagiere und der Besatzung untergingen. Man sprach von 1500 Opfern.
Für das Jahr 1914 waren wieder Manöver angesagt, aber diesmal mit ernstem Hintergrund. Denn im Juni 1914 wurden in Sarajevo der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gemahlin von einem Fanatiker erschossen. Dieser Mord führte zum 1. Weltkrieg.
Am 30. Juli wurde der Kriegszustand verkündet.
Der Villinger Polizist Tritschler verkündete unter Trommelwirbel, dass Kaiser Wilhelm II. über das ganze Reichsgebiet mit Ausnahme des Königreichs Bayern den Kriegszustand verhängt habe.
Am 2. August 1914 erfolgte die Mobilmachung.
Der 2. August wurde zum 1. Tag der Mobilmachung. Damit übernahm Kaiser Wilhelm den Oberbefehl über die ganze Armee, auch über die Bayerns. Die Garnison von Villingen, das 3. Bataillon der 169er, rückte in der 1. Augustwoche eines Morgens um 3 Uhr ins Feld, verabschiedet von Ehefrauen und Bräuten.
Den Soldaten hatte man Blumen in den Gewehrlauf und an die Helme geschmückt.
Noch im Laufe des Monats August kamen die ersten Verwundeten aus der Schlacht bei Mühlhausen nach Villingen ins Heilig-Geist-Spital, das zum Lazarett erklärt worden war. Die Verwundeten wurden auf Tragbahren vom Bahnhof ins Lazarett getragen.
Unsere Truppen marschierten in Belgien ein. Wegen dieses Einmarsches erklärte England am 4. August 1914 Deutschland den Krieg. Es folgte das Drama an der Marne. Rückzug der Deutschen und ein Stellungskrieg. Einer meiner Brüder, im Infanterie-Regiment 118 Hessen, kam bis auf 70 km vor Paris.
Im Osten mussten die Russen zurückweichen. Unter General Hindenburg und Ludendorff siegten die Deutschen bei Allenstein und Tannenberg.
Im November 1914 nahmen die Japaner Tsingtau ein. Als ich das Extra-Blatt las, musste ich weinen. Als deutscher Bub konnte ich es nicht fassen, dass wir Deutschen solche Rückschläge hinnehmen mussten.
Es kam noch die Seeschlacht bei den Falkland-Inseln dazu, wo das deutsche Auslandsgeschwader unter Admiral Graf Spee durch die Übermacht der Engländer und Japaner unterging.
Im Februar 1915 erfolgte die Einführung der Brotkarte und gleichzeitig das Nacht-Backverbot für Bäckereien. Um Mehl zu sparen, mussten die Bäcker dem Teig 33 Prozent Kartoffeln zusetzen.
Mein Jahrgang 1899 kam Ostern 1914 aus der Schule und die Meisten begannen eine Lehre.
Nach drei Jahren war 1917 die Gesellenprüfung. Noch in derselben Woche wurden die Villinger Burschen gemustert.
Die Musterung fand im katholischen Gesellenhaus statt, dem „Gasthaus zum Engel“ an der Vöhrenbacherstraße, später Hollerith.
Die 1899er wurden im Juni 1917 eingezogen. Ich wurde ein Jahr wegen einer Rippfell-Entzündung zurückgestellt.
Acht Tage später musste ich mich in Stuttgart melden und hatte das große Glück, meinen Dienst als Bäcker beim Königlichen Hoflieferanten Berrer in der Charlottenstraße 10-12 leisten zu können.
Das war wohl die schönste Bäckerstelle, die in Stuttgart zu vergeben war, ein wahres Glück, als junger Bursche an solch einem Platz Stuttgart arbeiten zu können.
Der Meister war verstorben, worauf ein 28-Jähriger den Betrieb führte. Ich musste jeden Tag mit frischem Brot auf die Gänsheide, von der Gänsheide ging es die Sünder-Staffel mit 153 Stufen abwärts.
Als Badener musste ich mir manches hören, blieb aber keine Antwort schuldig. Ich sagte den Württembergern, dass wir in Baden die Simultanschule hätten, wo Katholiken, Protestanten und Juden miteinander in die Schule gingen.
Auch dass die Badisch-Großherzogliche Staatsbahn mit drei Klassen fahre, die Königlich-Württembergische Staatsbahn aber mit deren 4.
Und dass im badischen Musterländle ein Krematorium gebaut werden durfte, wohl in Mannheim, während es in Bayern und Württemberg keine Genehmigung dafür gab.
Und als ganz Besonderes: im Badischen durfte man mit 16 Jahren rauchen, im Württembergischen erst mit 17.
So blieb lange Zeit ein gespanntes Verhältnis zwischen mir und den Württembergern.
Das Königshaus war protestantisch, dem ein Kronprinz fehlte, und so war Herzog Albrecht von Württemberg, der katholisch war, der Thronanwärter. Eigentlich kam ich mit allen gut aus, weniger mit der Köchin.
Als ich mal mit einem Korb Kleinholz an ihr vorüberging, sagte sie zu mir: „Heilige Maria, Mutter Gottes, erbarme dich unser!“ und schon hatte ich ihr den vollen Korb voll nachgeworfen.
Rosa beschwerte sich bei Frau Berrer, und die mahnte mich ab: „Aber August, wie kannst du einem Mädchen so was antun“.
Ich antwortete: „Frau Berrer, wenn sie so was nochmal sagt, werfe ich ihr wieder einen Korb voll Holz nach, nur kriegt sie das Holz dann ins Gesicht. Diesmal habe ich der Rosa das Holz an eine weniger empfindliche Stelle geschmissen.“
Im Oktober 1917 wurde der tüchtige 1. Geselle und Meister eingezogen. Frau Berrer sagte: „Nun muss ich einen anderen Schießer (Kapo) einstellen.“
Ich erwiderte: „Frau Berrer, wenn sie einen Schießer einstellen, müssen sie gleich zwei Bäcker einstellen, denn dann gehe ich weg.“
Frau Berrer meinte bloß: „Aber August, du bist ja noch ein Bub, du kannst doch mein Geschäft nicht führen.“
Ich aber bestand darauf, entweder – oder, und ich übernahm die Bäckerei. Bisher hatte ich in der Woche 10 RM Lohn, von jetzt an 12,50 RM.
Allerdings hatte ich jetzt noch das Backgeld für Gebäck und Kuchen, das die Kundschaft zum Abbacken brachte. Dieses Backgeld war manchmal höher als der Lohn.
Nun trug ich das Brot in der Altstadt aus und kam täglich ins Alte Schloß. Von der Schlossküche aus wurde das Palais am Charlottenplatz versorgt, dort residierte das Königspaar.
Einmal hatte ich auch vergessen, dem Brot Salz zuzugeben. Anderntags, als ich das Alte Schloss betrat, kam mir ein Herr entgegen und rief über den Schlosshof hinweg: „Du, Kerl, wie weit ist es denn nach Schwäbisch Hall?“
Ich sagte: „Das weiß ich nicht.“ Darauf er: „Nur, dass du es weißt, dort kann man Salz kaufen!“
Ja, man konnte in Stuttgart manches Schöne und Interessante erleben.
Ich hatte zwei Villinger Freunde kennengelernt, und wir gingen immer miteinander aus.
Sonntags, wenn der Gottesdienst in der Eberhardskirche am Schlossplatz beendet war, zog die Wache mit der Regimentskapelle auf.
wird fortgesetzt….