Schlummert ganz privat: Rarität aus Villingens Vergangenheit – Auch im Oberen Tor gab es ein Kefit für Arrestanten
Sie sind in zahlreichen Haushalten zu finden und zählen meist schon über Generationen zum traditionellen Hausschatz, der dann auch ein wenig Nostalgie und Stadtgeschichte vermittelt. Sei dies ein alt‘ Gemälde, Postkarten aus der Zeit um 1900, füllige Alben von den Großeltern oder auch ein spezielles Schmuckstück aus ehemals lokaler Werkstätte. Von Accessoires oder Ausstattung zur Fasnet ganz zu schweigen.
Ein solches Teil, das dann doch ein wenig Bewunderung verursacht, geht zurück auf den Fundus des ehemaligen Ofensetzers- und Ofenbauers Karl Hanßmann, der seine Werkstatt und seinen Laden in der oberen Färberstraße als Domizil hatte. Ohne eigentliche Sammelwut kam es während seiner Berufszeit zu Rest- und Bruchstücken von Kachelöfen, die er als sogenannte Schmuck-Kacheln bei Ausbau, Umbau oder Neubau von Kachelöfen nicht dem Schutt und Abraum zuführen wollte und er diese Motiv-Kacheln des Ofenbaues deshalb gesammelt hatte.
Ein solches Teil, das nun mal im Privaten schlummert, ist eben eine solche Schmuckkachel unbekannter Herkunft mit dem Motiv des Oberen Tores.
Über den Wert und den Schöpfer ist so gut wie nichts bekannt, was aber das Exponat nicht weniger reizvoll macht.
Es zeigt den höchsten Tor-Turm der Stadt mit grünem Zifferblatt, der erstmal 1336 urkundlich erwähnt wird, doch ist der Nordturm der Wehranlagen jünger als die beiden ebenfalls wehrhaften Türme im Osten (Bickentor) und Westen (Riettor).
Das nördliche Stadttor war nun nicht nur für den Wehrbau seiner Zeit von großer Bedeutung, denn im zweiten Stock befand sich ein ‚Kefit‘, eine Blockstube, die als Arrestzelle diente.
Rein optisch fallen am Oberen Tor drei Merkmale auf:
er ist der höchste der verbliebenen Tor-Türme und übertrifft diese mit knapp 34 Metern um gerade eine Stockwerkshöhe. Und auch Tordurchfahrt ist im Vergleich deutlich höher als die der beiden anderen Stadttore. Und so muss auch auffallen, dass das Mauerwerk zur Stadt wohl nicht zum ersten Bauzustand gehört.
Und so hatte wohl zunächst das Eckquader-Werk, geschaffen von Steinmetzen, ursprünglich psychologische Wirkung auf Feinde und Belagerer.
Im Scheitel des äußeren Torbogens ist für den Betrachter das Jahr 1828 als das der baulichen Veränderung erkennbar, doch geben alte Ratsprotokolle keine weitere Information.
Wohl aber hatte auch das Obere Tor einen Erker als Vor-Tor in der äußeren Wall-Anlage, die um 1840 bewusst geschleift wurde.
Bis heute wirkt das Obere Tor äußerst markant und imposant nach außen, wenn drei übereinander liegende Doppel-Schießscharten samt eingelassenen steinernen Geschützkugeln fast drohend herabblicken.
Sechs Geschosse bestimmen das Innere des Oberen Tores, zu denen der ursprüngliche Zugang von der ehemals westlich angebauten Kirnegger-Sammlung und damit auch vom späteren Zeughaus über der Tordurchfahrt in den Turm führt.
Das Innengerüst vom ersten Obergeschoß bis ins Dachwerk mit Balken, Treppen und Dachstuhl gilt als relativ jung und datiert zwischen die Jahre 1651 und 1655, einer unruhigen Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg.
Die verbauten Balken lassen sich zeitlich eingrenzen um das Jahr 1655; ein schriftlicher Hinweis liegt jedoch nicht vor, denn Ratsprotokolle fehlen von 1619 bis 1671. Auch die Chronik des Abtes der Benediktinerabtei St. Georg, Georg Michael II. Gaisser (1595 – 1655), gibt nichts her, obwohl dieser in seinem Tagebuch häufig auch „minder wichtige tägliche Vorkommnisse“ aufschrieb, wie der Hobby-Historiker Werner Huger 1994/95 in einem Fachbeitrag einst feststellte.
Man mag sich kaum vorstellen, dass das mächtige Zeltdach aus schwerem Balkenwerk bei Belagerungen tatsächlich abgenommen wurde, um von einer solch hohen Geschützebene „mit ballistischem Vorteil gezielt auf den Bickeberg oder den Hoptbühl mit großem Kaliber zu schießen“, so Werner Huger.
Denn um weit zu schießen, brauchte nicht das Dach abgehoben werden, für freies Schussfeld reichte es den Verteidigern wohl, nur die Holzverkleidung auf der Krone zu entfernen.
Ein besonderes „Detail der Heimatkunde“ (Huger) hat sich im Oberen Tor bewahrt: ein „keffit“ oder ein „gefengknus“, eine Arrestzelle des ausgehenden Mittelalters.
Die Kammer mit knapp fünf Quadratmetern und hölzerne Fußboden war dann auch für nur einen Arrestanten ein mehr als bescheidener Raum.
Auf einem kleinen steinernen Gewand für einen einzigen einstigen Lichtschlitz hat wohl 1744 ein Gefangener seine Haft eingeritzt „ ICH JOHANIE“.
Frühere Zeichen um 1590 bis 1688 markieren das eigentliche Erlebnis derer im Turm (Huger): die Skizzen, Zeichen und Initialen von Menschen, die hier ihre Gefangenschaft markiert haben.
Zahlreiche Kerben bezeichnen das Haftjahr, die Person und die Symbole ihres Handwerkerstandes und damit deren sozialer Stand.
So auch ein ‚Müllerzeichen‘ auf den Konflikt zwischen Rat und Zunft, als im Oktober 1522 vierzehn Müller, Meister und Knechte, für 18 Tage aus Protest und Streik wegen schlechter Bedingungen nur in Hüfingen mahlten.
Der Rat bat fremde Müller um Hilfe, bis die hiesigen klein bei gaben, worauf man zuerst derer 12 jeweils zu viert ins „Bicken-Kefid“, „Nider-Kefid“ und „Ober-Kefid“ einschloss, bis diese bereit waren, mit einer Frist von zwei Jahren 200 Gulden Strafe für ihr Vergehen zu zahlen…
Bei einem Initial mit der Jahreszahl 1593 „und dem erhöhten Erzengelkreuz auf dem Kreis, der Scheibe des Weltalls“ vermutet Huger schließlich noch die Markierung eines Druckers, was ein erstaunlich früher Hinweis auf den Buchdruck in Villingen sein könnte.
Auch damit ist das Obere Tor nicht nur für Historiker ein Turm mit wechselvoller Geschichte.