Mystisches Geheimnis im Hausgang – Freie Seelenschwestern an der Käs’gass‘
Wer sich der Lektüre des Heimatromans „Das Ratzennest – Geschichte einer 1000-jährigen Stadt“ von Hermann Alexander Neugart hingibt, der empfindet wohl auch ein wenig die mittelalterliche Mystik, die der Stadt tiefe Spuren beibrachte und deshalb noch immer
„manch Geheimnisvolles unter ihrem Gewande trägt“.
Und so kann man sich auch unterm Jahr fragen, wie viel Interesse besteht noch an historischer Wahrnehmung, was im Innern alter Häuser oder in deren verbauten Höfen noch als verwischte Spur entdeckt werden kann?
Da ist zum Beispiel die vordere Brunnenstraße, die früher Käsgass‘ hieß, aber so ganz und gar nichts mit dem olfaktorisch auffälligen Molkerei-Produkt zu tun hatte.
Viel eher damit, dass das mittelhochdeutsche ‚kes oder kese‘ bedeutete, dass etwas als sumpfig, schlammig oder eben als unsauber galt.
Ganz schön wissenschaftlich beweist sich die Sprachforschung darin, dass Käs‘ und Käs’gass‘ mit einer ehemaligen Abgabepflicht im Zusammenhang mit ‚Käs-Höfen‘ und einer zugehörigen Stabhalterei – einem hohen Organ innerhalb einer Klosterverwaltung – zu tun hatte.
Dazu passt das behäbige Gebäude an der Ecke Brunnenstraße/Rosengasse, wo ehemals die Bäckerei Hug handwerkte und über mindestens zwei Jahrzehnte im damals szene-angesagten „Bistro“ gewirtet wurde.
Prächtige Fensterpartien und ein hoher, auffälliger Giebel machen auf die mittelalterliche Bedeutung aufmerksam, ohne dass der historische Stellenwert bisher besonders hoch war.
So stellte Hermann A. Neugart 1964 fest:
„Es ist das einst zum Münster gehörende und als Mittelpunkt der Stadt
bezeichnete ‚Frauenhaus – Unserer Lieben Frau‘.“
Wobei nicht zweifelsfrei klar sei, ob sich dieser ‚Mittelpunkt‘ auf die Bedeutung des Hauses selbst bezog oder darauf, dass es ungefähr im Schnittpunkt des ovalen, mauer-umwehrten Stadtquartiers befinde.
Zu den ehemaligen Bewohnerinnen des Frauenhauses ist zu vermuten, dass diese nach eigenen, einst noch freien ‚Ordensregeln‘ lebten und sie dabei „im Schatten der ansässigen großen Orden ein bescheidenes Dasein fristeten“.
So mag man bis heute auch der Vorstellung anhängen, dass es sich bei diesen „Seelenschwestern“ an der Käs’gass‘ um ‚eine freie Sammlung‘ handelte und es jene Adels- und Patriziertöchter waren, die nach 1480 bei der Äbtissin Ursula Haider in deren Seelenschwestern-Sammlung am Biggenthor“ im dann geschlossenen Kloster aufgegangen sind.
Man muss jedoch schon der ausgeprägten Fantasie des H. A. Neugart anhängen, wenn dieser auf gegenüber verweist, auf eine Haus-Sanierung beim ehemaligen Fisch-Doller, wo man dereinst vor 1964 beim Innen-, Um- und Ausbau auf ein Fresko stieß, dem leider die Bauleute zu wenig Aufmerksamkeit schenkten:
Blumen umrankten eine Wandnische und schlossen sich im Ornament zusammen. Ehemals ein Ort sakraler Handlungen für das Frauenstift…?
Eine Vermutung samt Spekulation, dass eben das Nachbargebäude – später Fisch-Doller – nicht nur als Futterbühne und als Stallung des kleinen Klosters genutzt wurde.
Kaum mehr zu recherchieren ist eine weitere Historie:
hinter dem Frauenhaus habe es einen kleinen Klostergarten gegeben, noch weit früher bevor die sogenannten „Hinterhäuser“ der südlichen Nachbarn an der Niederen Straße, hier Flaschner Kammerer und Elektriker Sutermeister, gebaut wurden.
Ehemals wohl erkennbar an einer ‚Verbauung und einem Gruppenfenster‘ gleich denen am Hug’schen Haus nach Süden.
Als eigentlicher Abschluss solcher Geschichten gilt dann aber doch ein „echtes Relikt“ aus der Zeit um 1838:
im Klostergärtchen habe einst ein frommer Mann eine Marienstatue samt einer Sandsteinplatte mit Inschrift eingerichtet (Bild).
Doch Tafel und Postament standen der Überbauung und der begleitenden Profanisierung des klösterlichen Hauses samt Garten im Wege.
Wer immer damals der Bewahrer des Relikts war – das Postament samt Statue war leider schon zu Bauschutt geworden -, die Tafel tauchte zwei Steinwurf weiter im Hause Färberstraße 21 wieder auf, wo das Sandsteinrelief im ehemaligen Hause des früheren Bauunternehmers Kistenfeger durch die neuen Eigentümer Masermann-Rau wieder eingebaut wurde.
Viel heller, so H.A.N., werde das „Dunkel an Historie“ zum einstigen Mittelpunkt der Stadt aber erst, wenn der nächste „lächerliche Zufall archivale Legitimation“ schaffe und sich ein weiteres Rätsel löse.
Doch auch diese nostalgische Haltung liegt nun auch schon 56 Jahre zurück (2020).
Interessant, was mal hinter alten Mauern und in alten Häusern so alles war,
an denen man früher achtlos vorbeiging.