Im Zeichen des Fortschritts – 165 Jahre Gewerbeverein und Gewerbeausstellungen
Man nennt es heute Standort- und City-Marketing, was vor 150 und mehr Jahren in Villingen noch als „propagandistischer Erfolg“ gezählt wurde. Wurde 2007 an die Ausstellung zur damals 150-jährigen Geschichte des Gewerbes und des Handels gedacht, dann gilt auch für die Vorläufer vor und nach 1900 deren große historische Bedeutung für Stadt und Land.
Für einen Rückblick auf die Geschichte des Villinger Gewerbevereins von 1857 spielen die Jahre 1858, 1876 und 1907 eine markante Rolle. Lag das Interesse an der Badisch-Schwarzwälder-Industrie-Ausstellung 1857 bei noch 20 000 Besuchern während fünf Wochen, stieg es 1907 auf die unglaubliche Besucherzahl von 280 000 während acht Wochen.
Ein kleiner Kreis Villinger Bürger hatte im Jahre 1857 den ersten Gewebeverein initiiert. Ihre Idee: nach den Krisenjahren auf die Revolution von 1848/49 möge das Gewerbe und die frühe Industrie des Schwarzwaldes neue Geltung erhalten. Vor allem die Uhrmacher wollten neues Interesse bei den Käufern wecken.
An der Spitze der Ausstellungs-Kommission standen die Fabrikanten Albert Dold und Robert von Herzer. Entgeltfrei überließ ihnen die Stadt das gesamte Gebäude des ehemaligen Benediktinerstifts als Ausstellungsflächen. Als Draufgabe gewährte der Großherzog von Baden „allergnädigst“ einen Zuschuss von 1000 Gulden.
Am 21. August 1857 kündigten Glockengeläut und Böllerschüsse die Eröffnung der Ausstellung an: 700 Aussteller präsentierten 2 374 Artikel – Uhren, Musikwerke, Stroh-Geflechte, Produkte aus den Tuch- und Baumwoll-Manufakturen, Glas und Porzellanwaren sowie Steinzeug.
Die Prominenz zur Eröffnung wurde angeführt von der großherzoglichen Familie und zwei Staatsministern. Acht Aussteller wurden mit goldener, 30 mit silberner Medaille ausgezeichnet, weitere 80 erhielten eine lobende Anerkennung.
Die Ausstellung war auch finanziell ein Erfolg: bei Ausgaben von 5 000 Gulden blieb ein Überschuss von 2 260 Gulden.
Zwölf Jahre später bejubelten die Villinger den Anschluss an die Schwarzwaldbahn bis nach Konstanz und nach Rottweil, als noch kurz zuvor der Gewerbeverein Villingen 240 Mitglieder zählte.
Günstige Tatsachen, die 1876 dazu ermutigten, eine erfolgreiche Ausstellung zu wiederholen. Durch den „Anschluss an die große Welt“ und den technischen Fortschritt im aufstrebende industriellen Gewerbe wurde diesmal die säkularisierte Benediktinerkirche zum Ausstellungsraum.
Ein Zelt im Hof nahm den Maschinenbau auf und mit staatlicher Genehmigung durfte wurde eine Lotterie veranstaltet. Mit 850 Mark als Zuschuss der Villinger Wirte wurde die Reklame auch für die 50 000 Lose finanziert.
In 17 Themen wurden die 594 teilnehmenden Firmen gruppiert. In der Volksschule zeigten 16 Gewerbeschulen der heimischen Region Zeichnungen, Modell- und Schnitzarbeiten. Erstmals gab es auch einen Katalog zur Ausstellung.
Zur Eröffnung am 15. August kamen bereits 2 000 Besucher, die während aller Ausstellungstage von Orchestrions aus sechs Werkstätten unterhalten wurden. Und wieder waren es der Großherzog, sein Handelsminister Turban und Robert Gerwig, der Erbauer der Schwarzwaldbahn, die die Prominenz anführten.
Besondere Aufmerksamkeit aus württembergischer Sicht – so die Schilderung des engagierten Villinger Amateur-Historikers Lorenz Honold – widmete man den Yankee-Clocks, den so genannten Amerikaner-Uhren.
Das waren industriell gefertigte Tisch- und Wanduhren, die seit einigen Jahren der bisherigen Dominanz der Schwarzwälder Uhren Konkurrenz boten.
Als heiter bis kurios ist eine Szene überliefert, der sich der Großherzog stellte. Ein biederer Villinger Handwerker, der in der Brunnengasse Kuckucksuhren fertigte, wollte sich und seine Produkte der badischen Hoheit auf „hochdeutsch“ erklären. Dabei verstieg er sich mit seiner Dialekt-Übersetzung auf die „Gaugau-Uhren“, was wiederum ein Mitglied der herzoglichen Entourage zur Korrektur dieser heiteren Unterhaltung veranlasste.
Rein ökonomisch wurde auch das zweite Messegeschäft ein Erfolg: die Kasse weist nach einem „propagandistischen Erfolg“ für die Stadt und die Region einen Reingewinn von 9 500 Mark aus.
In den Folgejahren wird Villingen von der Vergangenheit eingeholt: 1883 wird die Hug‘ sche Chronik (1490 bis 1535) entdeckt, in der wertvolle Einzelheiten zum Bauernkrieg und zum Lokalhelden Romäus bekannt werden.
Noch dauert es aber bis 1905, bis die Idee reift, das 50-jährige des Gewerbevereins mit einer weiteren Ausstellung zu feiern.
Noch größer und attraktiver sollte sie werden, weshalb man die Amtmann-Wiese, später Stadtgarten und heute Binder-Kendrion, nutzen wollte.
Architekt Nägele entwarf die Hallen, die das Stadtbauamt errichten ließ. Die Geschäfte für die Ausstellung liefen über die Stadtkasse. Mit 50 Personen im Messe-Ausschuss begannen die Vorbereitungen; zum Ehrenausschuss zählten Oberamtmann Arnold, Bürgermeister Dr. Braunagel und der hiesige Landtagsabgeordnete Görlacher. Die „Oberleitung“ des Messe-Geschäftes hatten der Bahningenieur Bender und der Schreinermeister Lambert Himmelsbach.
Die Handels- und die Handwerkskammern Villingen, Konstanz, Freiburg und Reutlingen leisteten Werbehilfe, und auch das Landesgewerbeamt, die Forstdirektion und die Generaldirektion der Staatseisenbahn kooperierten.
Bei 500 Ausstellern der benachbarten badischen und württembergischen Amtsbezirke wurden 26 Themen- und Anbieter-Gruppen gebildet, die sich auf 40000 Quadratmetern Fläche einschließlich des Vergnügungsparks tummelten.
Zur Eröffnung am 14. Juli lobte der Ministerpräsident Freiherr von Bodmann beim Festbankett im Kreise der Honoratioren die Villinger Ausstellung als Glanzleistung.
Und ohne Übertreibung: Gestaltung, Aufmachung und Angebote entsprachen einem Marketing-Mix von heute, sehenswürdig noch dazu.
Die Vereinigung der Gärtner präsentierte die Grünanlagen mit Blumenbeeten, kleinem See und mit Springbrunnen.
Vom hölzernen Glockenstuhl – aufgestellt von der Belegschaft der Gießerei Grüninger – läuteten fünf Glocken, und die Besucher waren begeistert vom erlesenen Angebot an Schwarzwälder und Württemberger Spezialitäten aus Industrie und Gewerbe.
Das Wetter im Sommer 1907war prächtig, weshalb sich der Besucherstrom auch von Konzerten, Illuminationen, Feuerwerk und schließlich vom Aufstieg eines Freiballons – gefüllt mit 450 Kubikmeter Gas – begeistern ließ.
Tombola-Preise gingen an jene Inhaber der Einlasskarte mit der Nummer 150 000, 175 000 und der 200 000.
Auf den Besuch des Fürsten aus Donaueschingen in einem „Aufsehen erregenden Automobil“ folgte der des Landesherrn, der im Villinger „Waldhotel“ abstieg. Im zu Ehren wurde ein Festzug mit 160 Trachten aus der Umgebung veranstaltet. Zum Ende am 9. September ergab sich ein Überschuss von 5000 Mark, die der Bürgermeister an den Gewerbeverein überweis.
Skeptisch blickten die württembergischen Uhrmacher aus Schwenningen auf die sogenannten ‚Amerikaner-Uhren‘. Diese ‚Yankee-Clock‘ verblüfften so manchen Handwerker wegen ihrer billigen Preise. Unser Foto zeigt ein Exemplar um 1880, Mahagoni-Gehäuse mit Tür, Frauenmotiv, und einem Tagewerk mit Schlag.
Schlossermeister Heinrich Häberle aus Villingens Färberstraße schuf einst das kunstvolle Barock-Tor, das die Hofeinfahrt zur Stadtapotheke zum Münsterplatz schmückt. Vor 115 Jahren zierte es zunächst den Eingang zur Gewerbe-Ausstellung 1907 auf der Amtmann-Wiese, wo später der Stadtgarten eröffnet wurde.
Schausteller mit Wander-Cinematographen-Unternehmen reisten um 1907 auch durch Süddeutschland auf die Vergnügungsparks wie 1907 in Villingen.
Friedrich I. von Baden (1826-1907) übernahm 1852 die Regentschaft über das Großherzogtum Baden; stets bestrebt, Reformen durchzuführen, regierte er liberal und förderte Bildung und Wissenschaft. Er logierte 1907 im Villinger Kurgebiet.
Drei Automobile dieser Bauart waren in Villingen die Sensation in 1907. Die Durchlauchten derer zu Fürstenberg waren mit solchen Karossen angereist.