Wirtschaftswandel – Von Betrieben, Inhabern und den Belegschaften / Teil 20 – Blick in die 60er Boomjahre in Villingen – Firmen-Serie im Schwarzwälder Bote 2021
Schnurr-Druck nach 107 Jahren nicht zu retten – Gegründet 1893
Auch in den Aufbaujahren nach 1945 blieben einige der alten und wurden auch neue Firmen zu stadtbekannten vor Ort und in der Region. Sie boten Arbeitsplätze, ihre Waren und ihre Dienste an, sie wechselten ihren Laden oder änderten den Standort. Es wechselten die Inhaber, man bewarb die Firma und die Produkte, man nutzte den Ausverkauf und liquidierte freiwillig oder geriet in den bedingten Konkurs. Andere wahrten ihren Bestand bis heute.
In einem hochwertigen Buch-Kollektiv stellten sich 1964/65 Firmeninhaber vor, benannten ihre Leistung und ihre Belegschaft mit knapper „public relation“, selbst finanziert, knapp und präzise.
Für Villingens einstigen OB Severin Kern war das Werk eine „Kultur-und Wirtschaftschronik“ der Boom-Jahre und wurde zur „Urkunde und Kunstwerk“.
Zwar kein „goldenes Buch“ aber ein aufwändig rotes, editiert vom Bühn-Verlag in München, mit Blick auf 1000 Jahre Stadtgeschichte durch den Historiker Paul Revellio (1886 – 1966) und mit Portraits einzelner Inhaber, mit Villinger Motiven und mit ehemaligen Betriebsgebäuden gezeichnet von Gyorgy Jancovics aus München.
Heute geht’s um Schnurr-Druck
Als 1893 der Lithograph August Schnurr seine Buch- und Kunstdruckerei in Villingen eröffnete, vertrat er die sogenannte „Schwarze Kunst“ mit profanen Dingen jener Zeit, wie Zifferblättern für die regionale Uhrenfertigung und mit hochwertigen Briefbögen, die mit der Fabrikansicht der Kunden im Steindruckverfahren geschaffen wurden.
Schnurrs erste Anschrift für seine Werkstatt ist nicht benannt doch schon 1902 bezog er mit Familie ein Wohn-und Geschäftshaus in der östlichen Karlstraße Nummer 6. Hier war es möglich, die maschinelle Ausstattung zu erweitern.
Mit 68 Jahren verstarb der Gründer und Seniorchef 1935, worauf Sohn Robert die Geschäfte übernahm, der schon 1929 die Meisterprüfung als Buchdrucker abgelegt hatte. Robert gab den Steindruck auf und stellte den Betrieb komplett auf Buchdruck um.
Als Neuheit entwickelte Schnurr in jener Zeit Diagrammscheiben für Kienzle Apparate und deren Fahrtenschreiber. Für diese Anwendung im gewerblichen Fahrzeugbetrieb, wofür sich Schnurr 1937 ein erstes, weltweit gültiges Patent eintragen ließ. Nach 1945 festigte sich die Geschäftsentwicklung wieder zaghaft, worauf man 1953 und 1957 weitere Räume in der Karlstraße anbauen ließ.
Doch schon 1963 musste man sich mit inzwischen 100 Mitarbeitern zusätzlich fremd einmieten.
Zur markanten Person im Unternehmen avancierte nach 1972 Reiner Uhlenbrock, dem als aus Lüdenscheid zugezogener Schriftsetzer viele Jahre Villingen-Schwenningen auch lokalpolitisch deutlich gefallen sollte.
Uhlenbrock wurde nach einiger Zeit zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt, während die Firma bis 1992 mit der exklusiven Fertigung von Diagrammscheiben nach EU-Norm für die Tachographen-Hersteller Kienzle und MotoMeter agierte.
Als man sich nach 1992 entschieden hatte, sich bei der Unternehmens-Gruppe von Paul Dieter Haug einzugliedern, was zugleich den Verkauf der Druckerei Anfang der 1990er-Jahre darstellte, ging es jedoch, so Uhlenbrock 2020, stetig bergab.
Uhlenbrock wechselte die Seiten und wurde zunächst Prokurist (1996) und schließlich 2000 auch Geschäftsführer. Doch der frühere Erfolg hielt nicht an.
Anlässlich seines 80. Geburtstages 2020 erklärte Uhlenbrock, dass „ ohne Rückhalt der desinteressierten Eigentümer“ der drohende Konkurs 2000 nicht zu verhindern war.
Heute erinnert nur noch ein Klingelschild an die Firma Haug am Unteren Dammweg im Vorderhaus des ehemaligen Betriebsgebäudes von Schnurr.