Turnen statt Revolution – mehrere Neugründungen in den 1870-ern
Es bleibt historisches Geheimnis, was ein halbes Hundert Männer im Jahr 1848 bewogen hat, einen Verein zu gründen, um sich turnerisch zu betätigen. Denn das tägliche Leben war damals anstrengend genug, bis zu zwölf Stunden meist einer schweren Arbeit nachzugehen.
Körperliche Betätigung war also genügend gegeben. So kann man nur annehmen. dass die Gründer des Vereins von der neuen Art der Leibesübungen, wie sie Friedrich-Ludwig Jahn erdacht hatte, fasziniert waren und man diese Betätigung als Ertüchtigung und Ausgleich ansah. Gleichzeitig förderte ein solch gemeinsames Tun das Leben in der Gemeinschaft über alle sozialen Schichten.
Politisch gesehen war das Jahr 1848 geprägt von und Unruhe und latenter Revolution, weshalb angestrebte Gemeinschaften und Vereine eher verboten und eingeschränkt wurden. Grund genug, sich gerade unruhigen Zeiten eine Gemeinschaft über den TV 1848 Villingen zu pflegen und dies Jahre lang zu intensivieren.
Dieser Vereinsgedanke hielt an, auch wenn es nach 1872, 1918 und nach 1945 immer wieder schwer war, ein geregeltes das Training aufzunehmen.
Doch der TV 1848 entwickelte sich stetig zu einem Verein mit mehreren Sparten, begleitet von geselligen Festlichkeiten, wie närrischen Turnerbällen und Sommerfesten.
So wurden Körperlichkeit und Gesundheit zum neuen Sport, wobei der traditionelle Sportverein seine Bedeutung behielt. Denn Übungsleiter und ehrenamtliche Mitarbeiter sorgten für einen Breiten-und Spitzensport ohne soziale Abgrenzung.
Schon zum 150-Jährigen in 1993 zeigte man sich stolz, dass der TV 1848 immer auch von Männern und Frauen geleitet wurden, deren Ziel es war, den Bürgern sportliche Betätigungen zu bieten, und mit Gesundheit und Geselligkeit den Gemeinschaftssinn zu fördern.
Neben sportlichen Erfolgen auf nationaler und internationaler Ebene und bei einer wohl bedachten Haushaltsführung kam es in der Neuzeit zur eigenen Geschäftsstelle und einem Vereinsheim.
Im neuerlichen Jubiläumsjahr 2023 soll auch ein wenig Historie die 175-jährige Vereinsgeschichte darstellen.
Als im Jahre 1811 auf der Hasenheide in Berlin durch Friedrich-Ludwig Jahn der erste Turnplatz eröffnet wurde lag darin der Grundstein für die spätere „Deutsche Turmbewegung.
Stark bewegt von Vaterlandsliebe unterwies Turnvater die Jugend gezielt in Leibesübungen, die er Turnen nannte.
Fehlten zunächst praktische Turngeräte, widmete man sich dem Laufen, Werfen und Springen in noch spielerischer Manier.
Jahn galt als starke Persönlichkeit, die Verständnis hatte, die ihm begeistert folgte, worauf in vielen Städten Turnplätze entstanden und Vereine gegründet wurden; mit Heidelberg als erste Pflegestätte des Jahnschen Turnens in Baden, worauf sich auch Studenten für das Turnen begeisterten.
Der Verein heute
Mit rund 2600 Mitgliedern, davon 1300 Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren, ist der TV 1848 in VS und in der Region der größte Sportverein. Die Sportler werden von drei festangestellten Sportlehrern und von rund 125 Übungsleitern betreut. Weil Qualität wichtig ist, werden jedes Jahr drei Viertel des Jahresbudgets in Ausbildung und Honorare der Übungsleiter für Sportgeräte und für den Wettkampfbetrieb gesteckt. Getreu dem Leitbild: In VS und in der Region will führender Anbieter im Allgemeinsport, im Gesundheitssport für Alle Altersklassen und im Leistungssport auch auf Landes- und Bundeebene erfolgreich sein.
Doch die neue Lust des Turnens für das Volksleben wurde von vielen Zeitgenossen Jahns verkannt, den man eher als staatsgefährdenden Umstürzler sah.
So folgte eine königliche Kabinetts-Order, die das Turnen durch eine Turnsperre verbot, die von 1820 bis 1842 dauerte. Turnen war nur noch heimlich und in geschlossenen Räumen möglich.
Wohl deshalb widmete man sich dem Geräteturnen, was sich anbot bis die Turnsperre l842 aufgehoben wurde. Zugleich auch eine Befreiung, dass sich überall weitere Turnvereine gründen konnten.
Das gelang selbst in den Monaten im turbulenten Revolutionsjahr, nachdem sich das Parlament in der Paulskirche Frankfurt konstituierte.
Zu dessen Abgeordneten zählte auch Friedrich-Ludwig Jahn (1778- 1852), nach dessen Leitbild auch der Turnverein Villingen 1848 gegründet wurde, wofür man bereits 1844 erste Versuche startete.
Auf einen Bericht im damaligen „Villinger Wochenblatt“ über das neue „deutsche Turnen“, wurde nicht nur vor Ort zu Vereinsgründung aufgerufen.
So wurden das Turnen und Friedrich-Ludwig Jahn wurden zum Sinnbild einer speziellen deutschen Geschichte, die sicher einen kleinen, aber wesentlichen zur Entwicklung von Gesellschaft und Staat leistete. Das Bedürfnis der Bevölkerung nach Freizeit, nach Abwechslung und Zerstreuung vom Alltag führte somit auch zur Vereinsgründung in Villingen.
Die konstituierende Versammlung fand am 16. September im „Paradies“ statt: 52 Bürger trugen sich in die Mitgliederliste ein.
Erster Vorstand wurde Hauptlehrer Johann Schleicher, als erster Turnwart bot sich August Miggael an, Schriftführer wurde Ferdinand Stocker, als Beisitzer wurden Karl Otto, Eduard Bleyer und Otto Kuss gewählt.
Die ersten Turnstunden fanden dienstags und freitags auf dem Lindenplatz vor dem Oberen Tor statt. Auf Antrag des jungen Vereins gestattet die Stadt als Übungslokal die Nutzung ehemalige Congregations-Kapelle im Benediktinerkloster; erforderliches Turngerät wurde finanziell zugesagt.
Weitere Wirkungen der Revolution blieben 1849 nicht aus: in Villingen wird Johann Schleicher für unbestimmte Zeit Bürgermeister, die Festung Rastatt fällt, die Preußen kommen ins Land und am 12. Juli auch nach Villingen. Der Vorstand verweigert dazu den Huldigungseid und wird deshalb seiner Ämter enthoben.
Johann Schleicher fühlt sich politisch und persönlich nicht mehr sicher, zieht zunächst nach Friedrichshafen und wandert dann über die Schweiz nach Amerika aus.
Das ganz und gar unpolitische Turnen wird verboten. Die Turner-Jugend stimmt derweil die Idee einer Einigung und einem Zusammenschluss der deutschen Kleinstaaten zu, doch darf man sich nicht mehr frei zum Turnen bekennen, doch verbleibt man trotz allem weiter leidenschaftlich im Verborgenen.
Fünf Jahre später wird dann aber an der höheren Bürgerschule Turnunterricht unter Leitung des Realschullehrers Kürz verpflichtend eingeführt.
Nachdem 1860 die Deutsche Turnerschaft gegründet wurde, kann auch der Turnverein Villingen seine früheren Mitglieder sammeln und mit 37 von ihnen am 11. September den Verein neu gründen.
Buchhändler Hermann Höhler wird Vorstand, zum Turnwart wird Ernst Gläny und Geldwart Richard Partenschlager.
Ein Zungenbrecher der Jugend in jener Zeit:
Hinter Hermann Höhlers Huus hät mer hundert Hase here hueschte!
Das Bezirksamt genehmigt eine Aufnahmegebühr von 36 Kreuzern und einen Monatsbeitrag von 12 Kreuzern, während ein Pfund Kalbfleisch damals wohl nur 8 Kreuzer kostete.
Am 4. Oktober wird der TV Villingen Mitglied des oberrheinischen Turnerbundes, worauf am 18. Oktober im Vereinslokal bei Mechanikus Lehmann ein Abturnen mit anschließendem Bankett und Feuerwerk stattfand.
Doch dem Verein fehlt es vor allem an Geräten, für die der Gemeinderat einen Zuschuss von 38 Gulden bewilligt.
Am Dreikönigstag 1863 wird die erste Weihnachtsfeier mit Tanz durchgeführt. Zum Deutschen Turntag in Leipzig müssen die Turnvereine Freiburg, Konstanz, Villingen, Engen, Lörrach, Markdorf, Chur und Lausanne einen Vertreter wählen und auch vom oberrheinischen Turnerbund wird man beauftragt, in Hornberg, Triberg, Vöhrenbach, Donaueschingen, Löffingen, Hüfingen und Geisingen Turnvereine zu gründen, was zunächst in Hornberg, Triberg und Donaueschingen gelingt.
Laut Gemeinderatsbeschluss erhält der TV einen Sommer-Übungsplatz auf dem ehemaligen äußeren Stadtgraben beim Oberen Tor zugewiesen; eingeweiht am 16. September.
Auch eine Turnermusik wird gegründet. und von Johann Wittum dirigiert. Der Verein hat jetzt 70 aktive Turner und 72 Turnschüler. Schon im Frühjahr 1864 bietet man ein erstes Konzert der Vereinsmusik.
Für das „Winter-Turnen“ bietet man dem Verein auf Antrag das Städtische Werkshaus an. Wohl wegen guter Vereinsarbeit bittet der oberrheinische Turnerbund darum, ein Turngau zu initiieren, das am 29. September für den Schwarzwald mit Villingen, Neustadt, Donaueschingen und Unadingen gegründet wird.
In der Hauptversammlung am 20. Dezember 1865 werden -wohl oder übel gesellschaftlich zeitgemäß- nur Mannsbilder in den Vorstand gewählt, die da sind Joseph Ummenhofer, E. Distel, Turnwart E. Lenes, Glatz, Schriftwart Günter, T.A. Mayer, Rechner Göth, Wirt zum „Paradies“, A. Neidinger, Zeugwart Häusser, Gaiser.
Ein Jahr später wird der Turnunterricht an der Volksschule aufgenommen.
Während der folgenden beiden Kriegsjahre 70/71 wurde der Turnbetrieb eingestellt. Doch auch danach besteht kaum eine Möglichkeit zu turnen, da die Stadtverwaltung kein geeignetes Turnlokal zur Verfügung stellen kann. Aktuar Ganzenmüller vom lokalen Arbeitsgericht und wenigen Männern des Turnvereins gelingt es, das Interesse der nur 25 Mitglieder durch Spenden für ein Reck und einen Barren wieder zu wecken
Auch 1872 blieben die Männer im Vorstand unter sich; gewählt wurden Vorstand Ganzenmüller, Kassier Friedrich Meder, Turnwart Schönle, und Schriftführer Karl Leibinger. Das Turnen fand im Lueger- und Fehrenbachschen Garten statt, der bei der späteren Tonhalle lag.
Am 20. Juli wird es unruhig im Verein: Josef Grasberger wird Turnwart statt Schönle, für Ganzenmüller kommen in kurzer Folge Kneile und Friedrich Meder.
Als Konsequenz wird am 4. Juli 1874 ein neuer Turnverein gegründet, für den man den Gemeinderat bittet, die Geräte vom früheren Verein übernehmen zu können.
Und bereits am 20. Mai 1878 verfasst man neue Statuten für eine weitere Neugründung mit 66 Mitgliedern.
Der Erfolg blieb nicht aus: beim Gauturnfest 1879 in Neustadt erringen die Turner mehrere Siege.
Und auch die neue Abteilung einer Sängerriege unter Eugen Beha konnte bei den Monatsversammlungen zur geselligen Unterhaltung beitragen, worauf dann auch zum ersten Turnerball geladen wurde. Das festigte in den Turnstunden den regen Betrieb mit bis zu 70 Aktiven.
wird fortgesetzt