Ein Jahr der Kuhwälder, der Schofwälder und der Katzenmusik
Die guten Wünsche an Neujahr für 1872 waren wohl grad erst ausgetauscht, als man in Villingen erfahren musste, das das hiesige Kreisgericht, das seit 1864 bestand, aufgehoben werde. Villingen und der Kreis würden dem Landgericht Konstanz zugeordnet.
Ein schmerzlicher Verlust, so die Haltung der Stadtoberen, doch werde man die Wohnungen der abziehenden Juristen, Anton Basermann, Heinrich Schmidt und Josef Fritsch, sowie die der Anwälte Konzet und Oel als Uhrenwerkstätten einrichten und somit „den Kopf nicht hängen lassen.“
Schon gar nicht zur Fasnet 1872, die mit dem Fasnet-Mendig am 12. Februar sehr früh lag. Nach ihren ernsten Erlebnissen waren es zurückgekehrte Soldaten, die die Lebensfreude einforderten und mit den Malern der Maier’schen Schildermalerei unter dem Motto „Durchzug aller am Krieg beteiligten Nationen und nebst Telegraphisten“ singend und musizierend durch die Stadt und in die Wirtschaften zogen.
Da man die Noten wohl außen vor ließ, galt diese „Katzenmusik“ als Ursprung des heutigen Fasnetvereins im 150. Vereinsjahr.
Wenig später die weltlich hoffnungsvolle Nachricht aus dem Kriegsministerium. Man plane auch in Villingen eine Pferdezucht-Anstalt als Remontehof, wofür auch das Badische Handelsministerium zustimmte. Hier gebe s jede Menge unfruchtbares Gelände zu billigen Preisen zu pachten.
Remonten sind drei- bis vierjährige Pferde, die in Remonte-Höfen für ihre Aufgaben beim Militär ausgebildet wurden. Die Remonte-Depots hatten die Aufgabe, die für die Armee angekauften jungen Pferde bis zu deren Abgabe an die Truppen in Pflege zu nehmen und sie auszubilden.
Doch noch war dies Spekulation, auf die das Rathaus erklärte, wahr sei, dass um eine Fläche von 1600 bis 2000 Morgen Land angefragt sei, falsch jedoch, dass unfruchtbares Gelände bereit läge. Nur weil viele Bürger bereits industriell tätig seien, seien Acker-und Wiesenland unbebaut geblieben: „Unfruchtbar sind hier nur Steinbrüche und Landstraßen“ fügte man ironisch hinzu.
Folglich läge hier gutes Feld, hügelig bei gutem Wasser und für die Tiere vom Wald auch beschattet „bei diesem angeblich grässlichen Klima im Sommer.“ Eben deshalb würden sich bereits drei Gesellschaften um die Beurbarung kümmern, um Wiesen und Äcker umzulegen.
Der Gemeinderat besann sich und veröffentlichte ein Flugblatt als
„Ein Wort der Belehrung zur Remontefrage“.
Man las, dass das Reich für 1 500 Morgen 10 000 Gulden Pacht biete. Die Aufzucht der Fohlen bis zu deren Militärreife würde auch von notwendiger Bebauung begleitet, was vor Ort das Handwerk belebe.
Man erwarte also Militärs, Beamte und Pferdemärkte, woraus der Bürger erkennen möge, wie wichtig es sei, die Allmende, die Reutfelder abzutreten.
Im April 1872 dann der Besuch eines Kriegsgerichts- und eines Ministerialrates, worauf der Bürgerausschuss eine Kommission aus dem Gemeinderat bestimmte, die man freundlich aufnehme, wenn diese von Haus zu Haus bei den später Pachtberechtigten um Zustimmung bitten würden, wofür spätere Generationen dankbar seien.
Denn jährlich stünden 14000 Gulden Pacht für 30 Jahre bereit, und für weitere Maßnahmen dürfe man mit 360 000 Talern Bauaufwand für die 300 Fohlen rechnen, wofür 10 bis 15 Familien den Betrieb verwalten würden. Das Ganze ab 1873.
Doch schon traten neben eifrigen Befürwortern auch „Bedenkenhabende“ auf: Landwirte und Handwerker mit Nebenerwerb. An deren Spitze der Gemeinderat und Schreiner Rieger und der Hirschen-Wirt Kern. Mit Gleichgesinnten propagierten sie das Motto:
„Mir dont’s halt nit!“,
was für viele Jahre zur Parole und zum geflügelten Wort in Villingen wurde. Als schließlich Bürgermeister und Anwalt Carl Wittum vom Beuch des Remontehofes in Hanover zurückkehrte, wurden die Gegner noch massiver. Allen voran der kampfeslustife Gewerbelehrer Göth.
Er ließ im „Schwarzwälder“ abdrucken:
„… wenn der Hannes auf der Bierbank tobt und der Schindergässle-Bürgermeister mit Totschlag und der Maurer-Nolli mit Pulver drohen und die Crawazie-Weiber ihre Nägel recken, kommt der Freund der Narretei auf seine Rechnung“.
Von den Biertischen aus wurde schließlich beleidigt: Göth wurde zum „Remonte-Guller“ und dieser konterte mit „Kuh- und Schafwälder“. Als dann im Juli auch noch bekannt wurde, dass auswärtige Mitarbeiter im Remontehof auch noch den Bürgernutzen erhalten sollten, war das Maß im Widerstand voll.
Die Landwirte verfassten eine Beschwerde beim Bezirksamt, worauf es am 4. August zur Abstimmung im Bürgerausschuss kam: mit 351 von 679 Stimmen sprach man sich endgültig gegen den Remontehof aus.
Die Gemüter beruhigten sich, bis Bürgerinnen und Hausfrauen auf Heftigste den Betrug und den Wucher auf den Wochenmärkten beim Gemeinderat anprangerten. Die Marktmeister waren gefordert, samt der Reichspost. Von dieser forderte man einen weiteren Postkasten, eil nur ein einziger in der Niederen Straße hing.
Endlich gegen Jahresende dann die Ablenkung. Eine Gasfabrik sei geplant. Ein Fortschritt ohne Opposition.
Eine Flamme für einen halben Kreuzer pro Stunde.
Nachrangig war dagegen im November, dass die Bürgerschule zum Real-Gymnasium werde und dass der Glockengießer Grüninger mit seinen Gesellen in das bisherige Bezirksamt ziehe, das ihm verkauft werde. Bedeutender war, dass ein Denkmal für die Gefallenen des 71-er Krieges ins Gespräch kam.
Wenig Vernunft traf jene, die wegen der zahlreichen Italiener, die damals die Schwarzwaldbahn mitbauten, glaubten, dass „Raufhändel und Dienstähle“ in und um die Stadt zunehmen würden.