1870 Zwischen Gemeindegesetz und Kriegsbeginn – Viehtränke nach Fahrplan
Sie hießen Ummenhofer und Ackermann, Höhler, Maurer, Schupp und Schleicher und sie sind die Ur-Ur-Großväter der heutigen Villinger, die aktuell wenigstens 65 Jahre alt sind. Denn es sind 150 Jahre seit 1870, als mit einem neuen badisches Gemeindegesetz zum 1. Januar einige Änderungen festgelegt wurden.
Denn ab sofort durfte nicht mehr nur die kirchliche Trauung gelten, die bislang auch als amtlich galt, die Ehe musste auch standesamtlich vollzogen werden.
Eine solch bürgerliche Trauung fand nun im noch jungen Jahr 1870 am 17. Februar im Saal des alten Rathauses statt.
Zu den allgemeinen Geschehnissen jener Tage gehörte die jährliche Fasnet.
Aufgeführt wurde am Fasnet-Montag, den 28. Februar,
„Die Eröffnung des Suez-Kanal“,
verbunden mit einem orientalischen Maskenzug und dem Empfang asiatischer und europäischer Deputationen.
Danach waren ab dem 10. März einige Hauseigentümer von der neuen ortspolizeilichen Vorschrift betroffen, dass an allen Häusern Dachrinnen anzubringen seien.
Und weil man schon mal dran war, bestimmten die ortspolizeilichen Vorschriften über die Reinlichkeit und die Sicherheit:
„Denjenigen mit eigenem Brunnen wird untersagt,
das Vieh an öffentlichen Brunnen zu tränken.“
Für alle anderen gilt Ziffer 3:
„Das Tränken darf in den vier Hauptstraßen nur eine halbe Stunde vor
und nach Ankunft der gegenwärtigen Eisenbahnzüge stattfinden.“
Verboten wurde für die ganze Stadt, dass Geflügel aller Art an Sonn-und Feiertagen frei herumlaufe.
Im April des Jahres 1870 macht die Feuerwehr Schlagzeilen. Gegründet 1852 vom Postmeister von Davans und seit 1856 geleitet von Dominikus Ackermann stand die 3. Kapitulation auf der Tagesordnung. Diese längst überkommene Bedeutung war die neuerliche Verpflichtung für eine freiwillig verlängerte Dienstzeit.
Den Segen hierfür sprach Stadtpfarrer Ruth, der sich als neuer Pfarrverweser von Ebersteinburg hatte versetzen lassen.
Villingen entwickelte sich in jenen Jahren zu einem badischen Zentrum und erhielt wohl wegen der neuen Bahnstation aus dem Vorjahr 1869 auf Anordnung des Handelsministeriums das Post- und Eisenbahnamt, das Donaueschingen abgeben musste.
Anfang Juli 1870 gibt es in den Gazetten die ersten Schlagzeilen zur Kriegsgefahr.
Prinz Leopold von Hohenzollern sollte auf Bismarcks Aufforderung für den spanischen Thron kandidieren. Der lehnte jedoch ab und Napoleon III. empörte sich über diesen Anspruch und erklärte Preußen und dessen Verbündeten Baden, Württemberg und Bayern den Krieg.
Baden machte mobil, die alliierten deutschen Truppen siegten an nahezu allen Kriegsplätzen. Von den Kriegsfreiwilligen aus Villingen im 6. badischen Infanterie-Regiment bleibt als erstes Opfer Wilhelm Cammerer auf dem „Feld der Ehre“
Schon am 3. September kapitulierte Napoleon und begibt sich in Gefangenschaft.
Das allgemeine Leben in Villingen ging weiter:
die Kaufleute monierten, dass die einzige Brieflade am Hause Killy am Marktplatz hänge und täglich überfüllt sei was nach Abhilfe schreie.
Mehlhändler Karl Biechele an der Käsgass‘ (östliche Brunnenstraße) ergänzt sein Sortiment um Kolonialwaren und Buchhändler Hermann Höhler „gerät in Gant“, was heute der Insolvenz entspricht.
Zungenbrecher seit 1870 und für viele Schülerjahrgänge nach 1900:
„Hinter Hermann Höhlers Hus hät mer hundert Hase here huschte!“
Kaufmann J. J. Ummenhofer zeigt für seine private Handelsschule seine nächsten Kurse an.
Der Vorschussverein (später Volksbank), gegründet als ein Schutz-und Trutzbund gegen Wucher, wählt den Oberamtmann Bader zum Vorsitzenden, Kaufmann Gilly als Kassier, J. J. Ummenhofer als Kontrolleur und als Schriftführer Adolf Neidinger.
Zur lokalen Attraktion wurde das photografische Atelier des Christian Kurz im Garten des Gasthauses „Hecht“. Und schließlich stellen über das Jahr 1870 die hiesigen Bierbrauer 529.000 Maß Bier her.
Einiges davon dürfte auf die Neuwahl des Bürgermeisters nach neuer Gemeindeordnung getrunken haben.
Von 557 Wählern erhielt der Amtsinhaber Julius Schupp 380 Stimmen, Chorregent Schleicher erhielt 165 und Lehrer Kurz eine bei 11 ungültigen. Demokrat Schleicher erklärte sich traurig, dass die national-liberalen so liberal seien, dass diese die Vertreter für ein demokratisches Wehrsystem hassten und verfolgten. Schleicher erklärte sich als ein schlimmer Demokrat, nämlich als ein Republikaner.
Sicher über Tage bis Silvester 1870 ein Thema an den Stammtischen von Hecht, Adler, Lilie und Russischem Bock.
Kriegerdenkmal zu Ehren der Gefallenen im Krieg1870: von damals 125 Freiwilligen aus Villingen starben sechs Soldaten.
Bildhauer Josef Ummenhofer schuf den Obelisken für 1600 Gulden.