Vom Schillerdenkmal zum Hubenloch und zum Eisweiher
Lokalhistorie samt lokaler Legenden regen manchmal auch jene an, deren Familienverhältnisse mit der Geschichte und den Geschichten rund um die Zähringerstadt verbunden sind.
So auch im Februar 2015, als sich die Villingerin Inge Haase zum Zeitungs-Bericht „Gestaltung der Ringanlagen – früher und heute“, zu Springbrunnen, Fasanenteich und der Bepflanzung des früheren Stadtgrabens um 1900 den Namen ihres Ur-Großvaters las, des ersten Villinger Stadtgärtners Karl Nüßle (geboren 1864), mit großer Freude meldete, denn Karl Nüßle war ihr Ur-Großvater, dem sie in frühester Kindheit noch oft auf dem Schoß saß…
Und weil eben dieser Nüßle derjenige war, der erstmals ein „städtisches Gartenamt“ leitete, das es im heutigen Sinne noch gar nicht gab, kramte Inge Haase in der Fotoschachtel bestes Bildmaterial hervor, so dass das seit Jahrzehnten bis heute beeindruckende Werk Nüßles noch klarer wird. Zu Nüßles 90. Geburtstag im Februar 1954 hatte Hermann Alexander Neugart den Jubilar bereits lokal-geschichtlich in der Zeitung gelobt.
Damals gratulierte man dem Jubilar, dass er fast so alt sei, wie die riesigen kanadischen Pappeln in den Ringanlagen, für deren Bestand und die umliegende gärtnerische Gestaltung er jahrzehntelang gesorgt hatte, auch wenn diese Bäume in jenen Tagen wegen ihrer Größe und ihres Alters fallen mussten.
Nüßle wurde in Dachtel im Kreis Calw geboren und kam um 1890 nach Villingen, um das Amt des obersten Stadtgärtners zu übernehmen; zu einer Zeit, als sein Wirken mit dem Aufschwung der Stadt zusammenfiel und er 20 Jahre lang nicht nur sein Leben gestaltete, sondern er auch ein Stück Stadtgeschichte schrieb.
Nüßle war bis ins hohe Alter von 90 Jahren eine „markante Persönlichkeit mit überraschend rüstiger Gestalt“ und fiel in der Öffentlichkeit zeitlebens dadurch auf, dass „er ein Jägerhütchen und eine grüne Joppe trug“.
Zu Nüßles Zeiten im Amt des Stadtgärtners, als Villingen als ‚feste Stadt‘ längst
„aus dem vorderösterreichischen Landesverband herausgerissen war, man sich in das neu gebackene Land Baden eingliedern sollte und die einst bürgerliche Selbstherrschaft sich dem Prädikat einer späteren ‚Schwarzwald-Metropole‘ widmen sollte“,
so H. A. Neugart 1955 als Chronist der Neuzeit,
sollte auch neues Ansehen und neues Aussehen in der Stadt geschaffen werden.
Nüßles Arbeitsfeld war riesig und doch war er „nur“ Stadtgärtner, denn für 12 000 Einwohner fungierte Stadtbaumeister Dreher, wenn auch dessen Mittel knapp waren.
Erstes ‚Sorgenkind‘ war damals der Zutritt in die Stadt vom Bahnhof über den Paradiessteg zur Gerber- und zur Niederen Straße , quasi eine städtische Visitenkarte.
Hergerichtet wurde folglich der Bahnhofsvorplatz, man schuf nahe dem Paradies-Steg eine Felsengrotte mit Wasserfall und stellte einen lebensgroßen Hirsch auf. Es kam direkt gegenüber zu einem Schwanenteich mit Fasanenzucht und Grün- und Blumenflächen.
Um die Jahrhundertwende ließ Nüßle dann auch das erste Schillerdenkmal zwischen Riettor und Benediktiner-Turnhalle errichten (Bild), auf dem Hubenloch-Abhang wurden Obstbäume gepflanzt und ganz oben auf der Prioritäten-Liste stand der Romäusring bis zum „Bügeleisen mit dem Glocke-Hiesle“.
Hoch angerechnet wurden dem Stadtgärtner, der Startgärtnerei und der Gärtnervereinigung ‚Schwarzwald‘ die Arbeiten zur Gewerbe- und Industrieausstellung im September 1907 auf dem Gelände des späteren Stadtgartens (später Binder/ Kendrion), der einstigen „Amtmannwiese“. Nach dem Besuch des Großherzogs Friedrich I. und auf Vorschlag des Preisrichter-Kollegiums gab man dem Festplatz die ehrende Bezeichnung „Nüßle-Wiese“ und der Reichsbund der Bildenden Künste verlieh dem Namensträger das Diplom und den Titel eines Gartengestalters.
Gegen die „Unternehmung des Gewerbevereins und ein solches Wagnis“ unter der Leitung von den Vorständen Bender und Himmelsbach und der baulichen Planung von Architekt Nägele soll sich Bürgermeister Dr. Braunagel (Amtszeit von 1903 bis 1912; trotz vermeintlicher Verfehlungen während seiner Villinger Amtszeit wählten man ihn in danach in Schwenningen zum Bürgermeister; er verstarb 1925 mit nur 53 Jahren) „mit Händen und Füßen“ gewehrt haben. Doch der Erfolg gab den Initiatoren schließlich recht.
Hoch zu würdigen war über Jahrzehnte auch Nüßles soziales Engagement: Führer der örtlichen Sanitäts-Kolonne, hierfür vom Großherzog geehrt mit dem ‚Luisenorden‘; Fahnenträger und Ehrenmitglied beim „Sängerbund Villingen“, Ehrenmitglied beim Badischen Gartenbauverband; treuer Helfer der Narrozunft Villingen beim Schmücken der Fasnet-Wagen, auch wenn letzteres zum Ärger des früheren Bürgermeisters Heinrich Osiander (im Amt von 1883 bis 1903) geschehen sein soll…
Schließlich machte sich Nüßle 1910 mit einem Blumenladen und einem ‚Bureau für Gartentechnik‘ in der Oberen Straße (später Kürschnerei Künzle) selbständig, wofür ihn die Arbeiten sowohl in die gesamte Region wie auch bis Oberstdorf im Allgäu geführt hatten.
Während der Kriegszeiten 14/18 wäre Karl Nüßle Walzmeister bei der Wasser-und Straßenbau-Inspektion Donaueschingen, er leitete in den späten 1930-er Jahren die Bepflanzung der Festungswerke des sogenannten Westwalls im Bezirk Kehl.
Karl Nüßle, der schon 1917 Witwer wurde, lebte als Rentner bis zu seinem Tode bei einem seiner Söhne in der Kirnacherstraße im Quartier „Westbahnhof“.