Von Minnesang, Antependien und dem ‚Mohren im Stutzer‘- Patrizier ließen einst Teppiche gegen die Kälte wirken und sticken
Kennen Sie ein ‚Antependium‘? Aus dem Kreuzworträtsel oder aus der Medizin? Nein, eher wohl nicht! Denn der Begriff gehört ins Sakrale und zu den Gegenständen für kirchliche Zwecke. Sind es doch Altartücher, wie jene, die seit 1910 im Eigentum der Städtischen Sammlungen in Villingen stehen. Seit damals, als diese Bildteppiche bereits Leihgabe der Ursulinen im Kloster der früheren Klarissinnen waren und fast an einen Aachener Kaufmann namens Creuzer veräußert wurden.
Doch diesen Handel verhinderte auch der damalige Landtagsabgeordnete und Villinger Schmiedemeister Ignaz Görlacher, in dem er den Bürgerausschuss überzeugte, für den Verbleib und „die kulturelle Tat“ (Paul Revellio) und für den lokalen Verbleib 30 000 Mark zu zahlen. Damit blieben ein Minne-Teppich aus dem 15. Jahrhundert, der Muntprat-Tepich um 1495, der Marienteppich (1485), der Weihnachtsteppich (1490) und der Drei-Königs-Teppich (um 1550) schließlich in städtischem Besitz und Eigentum.
Ein Antependium (von lat. ante „vor“ und pendere „hängen“) ist ursprünglich ein reich verzierter und bestickter Vorhang oder Teppich an der Vorderseite oder den Seiten des Stipes, des Unterbaus des Altares. Antependien sind in der evangelischen als auch in der katholischen Kirche üblich und dienen meist als Altar- und als Kanzelbehang. Sie sind wie alle Paramente in den liturgischen Farben gehalten und meist versehen mit Symbolen, die zum Verlauf des Kirchenjahres passen.
Diese Bildteppiche – in den Maßen bis zu drei Quadratmetern beim Marienteppich – blieben damit auch im Fokus der Historiker, wie Paul Revellio bereits 1924 deren Herkunft, ihre Machart und deren mögliche Stifter ins Visier nahm. Denn vor 500 Jahren war es das Wirken der sogenannten „Heidnisch-Werkerinnen“ auf deren Wirkstühlen und nach Vorlage eines „Bildner“, den zuvor ein „tüchtiger Künstler“ gemalt hatte.
Mit solcherlei oberdeutschen Bildteppichen kam erstmals künstlerischer Schmuck in die Wohntürme von Burgherren und die Wohnstuben des reichen Bürgertums, der Patrizier. Zwischen senkrechte Kettfäden wirkte oder knüpfte man farbige Wolle oder Leinen oder gar Menschenhaar der Stifter oder der Wirkerin.
Entstanden sind nach vielen zig Stunden ‚Banktücher‘ und Wandbehänge gegen die Kälte in den Villinger Stuben und um den Hintern und den Rücken zu wärmen. Diese anhaltende Arbeit des Wirkens oder Knüpfens stand damit zwischen dem üblichen Weben und dem Sticken.
So zeigt der Villinger Minne-Teppich noch die eigenartige Welt und den letzten Abglanz der mittelalterlichen Minne-Poesie (Paul Revellio).
Paul Revellio, 1886 – 1966, war Lehrer und Heimatforscher. Nach dem Gymnasium in Donaueschingen studierte er Geschichte an der Universität Freiburg und promovierte 1913. Viele Jahre war er Gymnasial-Professor am Realgymnasium Villingen und von 1919 – 1966 auch Stadtarchivar. Er veröffentlichte zahlreiche Beiträge zur Frühgeschichte und Kunstgeschichte seiner Heimat und förderte Aufbau und Erhalt des Franziskanermuseum Villingen. 1952 wurde er mit dem Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland geehrt.
Doch nicht nur Burgen und Patrizierhäuser waren ab 1500 mit Teppichen ausgeschmückt, denn die gewirkten Textilien dienten als Altartücher auch kirchlichen Zwecken, deren Schmuckwerk man auch heute Antependien nennt.
Dazu zählt auch der Muntprat-Teppich, den Revellio dem einstigen Neubau der Kirche des Villinger Bickenklosters zurechnet. Auffällig an diesem ist das Wappen derer von Muntprat aus Konstanz und der Mörtelis aus Ravensburg – beide Familien waren reich und mächtig geworden mit den profitablen Geschäften der Ravensburger Handelsgesellschaft rund um den Bodensee.
Zu Lebzeiten von Rudolf Muntprat und dessen Frau Elisabeth, geborene Mörteli, fanden junge und jüngste Töchter meist Zuflucht in Klöstern wie dem der Klarissinnen im späteren Ursulinen-Kloster. Damit waren auch stete materielle Zuwendungen der Handelsgesellschaft an die Villinger Schwestern sicher.
Revellio nahm seit 1920 und auch noch 1964 an, dass dieser Teppich zu Ehren des Altar-Patronats des Salvator zwischen 1484 und 1494 mit den Maßen 112 mal 184 Zentimeter von Familie Muntprat gestiftet wurde, weil diese in Kontakt mit Ursula Heider standen, die einst vom Mutterhaus in Feldkirch über Konstanz zur zweiten Gründung des Villinger Kloster kam.
Das zweite Antependium, der Marienteppich, bei einer Größe von zweieinhalb Quadratmetern, ist der französischen Machart und Provenienz bei Tours zuzuordnen. Er wurde 1485 von Jakob Sattler und dessen Schwester Dorothea Sattlerin gestiftet, die 1485 in das Villinger Kloster eintrat. Die Sattlers von Croaria zählten wie die Muntprat und die Mörteli ebenfalls zu den damals ‚Superreichen‘ der Handelsfamilien von Ravensburg.
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Schließlich gehören zur Villinger Sammlung auch zwei gestickte Exponate: der Weihnachtsteppich und der Drei-Königs-Teppich. Deren Art wurde im 16. Jahrhundert Mode, was nach Revellio vermuten ließ, dass beide sogar im Villinger Kloster gestickt wurden.
Villingens einstiger Sachwalter der umfangreichen Altertümer-Sammlung nahm auch an, dass der Weihnachtsteppich, der auch den Heiligen Ludwig von Toulouse, Bischof königlichen Geblüts – der die Krone ausschlug, um Franziskaner zu werden – und Franz von Assisi zeigt, in jenem Jahr von Ursula Sattler gestiftet wurde, als deren Tochter Anna als Novizin mit neun Jahren in den Orden eintrat.
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Im Rahmen der schwäbischen Tradition schildert schließlich der Drei-Königs-Teppich die Anbetung Jesu wie auf einem der ansonsten üblichen Altarbilder und ganz „im Sinne einer schlichten und anspruchslosen Volkserzählung“ (Revellio) und diente wohl zum Schmucke des 1484 geweihten Seitenalters der Kirche am Bickentor, der auch den drei Königen geweiht war. Einem Stifter lasse sich das Werk nicht zuordnen, wohl aber verstieg sich Revellio zu Haltung und Kleidung des „Mohren“ Caspar (oder war der Schwarze seit dem 14. Jahrhundert bildlich geschaffen doch eher der Balthasar) darin, als dass dieser „mit leichtem Humor behandelt“ zu interpretieren sei.Trage er doch nicht nur einen Kronenhut sondern auch den „Stutzer“ des Mittelalters, der sich aus heutiger Sicht gar als „Mini-Rock“ auf dem ‚Altar-Fürtuch‘ darstellt.