Villingens Narromarsch und Wilhelm Tempel sen.

Egal ob in Neuseeland, Hawaii, New York oder in Honkong, wer weit weg vom Heimatort als Villinger nur die ersten Takte hört, den könnte die Gänsehaut erfassen. Denn Villingens Narromarsch ist einmalig, auffällig, besonders und knapp 100 Jahre alt. 

Komponiert und arrangiert hat ihn Wilhelm Tempel,  geboren 1880 in Metz in Lothringen, die Eltern aus Berlin, der Vater Militärmusiker in der Garnisonsstadt Metz, die damals noch  zum  Deutschen Reich gehörte.

Nachdem Tempels Vater wohl in die Garnison Neustadt an der Dosse in Brandenburg versetzt wurde, erhielt Wilhelm dort bis 1899 seine musikalische Ausbildung an der Posaune, mit Violine und in der Orchesterlehre, worauf er  talentiert einige Blas-, Streich- und Tasteninstrumente beherrschte, so die ergiebige Recherche des Elmar Faiß aus dem Jahre 2012/13 für die AG Villinger Fasnet.
Was folgte, war seine militärische Grundausbildung von 1899-1901 worauf er bis 1913 Militärmusiker im 9. Badischen Infanterie-Regiment Nr. 170 in Offenburg wurde.
Dort  erlebte er auch die Besonderheit, bei der Kaiserparade in Karlsruhe vor Wilhelm II. die Solo-Posaune blasen zu dürfen.

Wilhelm heiratete 1909 die zwei Jahre jüngere Fanny Kuch in Offenburg, die ihm die Kinder Gertrud, Maria, Wilhelm und Hedwig gebar.

Nachdem Tempel sen. 1913 unter 40 Bewerbern Stadtkapellmeister in Villingen wurde, arbeitete auch der junge Willy nach einer Kaufmannslehre bei der Sparkasse in Villingen und spielte Posaune in der Harmonie.
Tempel sen. trat erstmals an der Fasnet 1913 öffentlich auf, bot den Bürgern  ein Konzert und danach die Ball-Unterhaltung in der Tonhalle, hoch gelobt von der örtlichen Presse. Ein Jahr später ruhten mit Beginn des 1. Weltkrieges auch bei der Stadtmusik deren Aktivitäten.

Erst fünf Jahre später habe Tempel die Stadtmusik „mit eiserner Hand“ zu deren hohem Leistungsstand geführt.
Es folgten einige Wertungsspielen mit 1a-Preisen, worauf er die Jugendausbildung forcierte, er privat Klavierunterricht gab und er als Dirigent auch den Orchesterverein leitete, einem Vorgänger des städtischen Kammer- und Sinfonieorchesters.

Doch Tempel war bei allem sehr streng; musikalisch und menschlich kühl, wie dies Einträge im Protokollbuch der Stadtmusik markierten.

So war es 1921 Arnold Schöpperle, der Tempel wegen seines forschen Verhaltens kritisierte, wenn dieser die Musiker wegen schlechten Probenbesuchs schalt.

Tempel forderte 1922 sogar fünf Mark Strafgeld, wenn bei Musikproben gefehlt wurde, was sich wohl wegen der Inflation 1925 auf 50 Pfennig und 1928 auf eine Mark reduzierte und sich zwei auf Mark erhöhte, wer bei Auftritten fehlte. Ohne „Gebühren“ blieb es nur bei Krankheit mit Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung

Die personelle Sachlage gipfelte schließlich darin, dass man  Tempel wegen dessen starker Belastung und wohl krankhafter Wesenszüge im August 1926 die Geschäftsführung entzog.

Trotz allem erhielt Tempel 1929 von Zunftmeister Albert Fischer einen Auftrag; denn der glaubte entdeckt zu haben, dass Villingens Fasnet und die Figur des Narro historisch auf 1584 zurückgehe, was mit einem  Narrenmarsch zu krönen sei. Das Ergebnis erklang erstmals im Februar 1930 beim Narrentreffen in Rottweil.

Zur Fasnet 1930 wird protokolliert: An beiden Umzugstagen der Narrozunft wird von der Stadtmusik in der Bürgerwehr-Uniform gespielt, wobei der neue Villinger Narromarsch im Tempo des Narrosprungs mit dem Ideal von 72 Schritten pro Minute gespielt wurde und die Bürger mit früheren Klängen von Fasnachts- und Bürgerliedern überraschte.
Das Villinger Volksblatt schrieb dazu „vom Süden her erschallen die getragenen Klänge des neuen Villinger Narrenmarsches.“

Doch Tempel kommt immer wieder ins Gespräch,  beim Ständchen der Stadtmusik zu seinem 50. Geburtstag unter Dirigent und Chorführer Gustav Klingele oder eben auch, als er in 1931 mal wieder unanständiges Verhalten der jungen Musiker ihm gegenüber rügt.

Als die Stadtmusik 1934 nach Karlsruhe verpflichtet wurde, spielte man an einem Bunten Abend des Rundfunks mit; der Saal  vollbesetzt und die Musiker in Bürgerwehr-Uniform mit klingendem Spiel auf der Bühne.
Eine Zeit, in der auch die Villinger Narro-Gruppe noch auswärts mitwirkte, was aber wohl den Gastgebern nicht ins Konzept passte, da man die Villinger sträger nicht sonderlich goutierte. Das sei deshalb nicht verwunderlich gewesen, da die Karlsruher zu früheren Zeiten den Villingern allzu oft die Fasnet verboten hätten.
Auch 1935 beim Narrentreffen in Offenburg glänzte die große Zahl der Narro, Stachi, Butzesel, Wuescht und der Alt-Villingerinnen zu den Klängen des Narrenmarsches.

Im März 1936 entließ der NS-nahe Bürgermeister Schneider den bisherigen Stadtkapellmeister Tempel nach 23 Jahren seiner Tätigkeit; neuer Kapellmeister wurde Franz Könitzer, den der Erste Beigeordnete Riedel einsetzte:

„Wenn auch anzuerkennen sei, dass man unter Tempels Stadtmusik Fortschritte und Erfolge erzielt habe, hätten doch wichtige Gründe zur Bestellung eines neuen Kapellmeisters geführt.“

Das Protokoll vermerkt:
Der Monat März brachte eine Änderung in der Stabführung der Kapelle, indem Kapellmeister Tempel von der Stadtverwaltung auf Wunsch der gesamten Musikerschaft seines Amtes enthoben und Herr Könitzer, der vom Militär abging, in das Amt eingesetzt wurde.

Ein Akt, der sich am Schriftwechsel zuvor orientierte und keinen guten Eindruck hinterließ. Tempel arbeitete noch wenige Monate bei der Städtischen Sparkasse, starb jedoch im Oktober 1937 mit 57 Jahren an einem Herzinfarkt. Er wurde in Offenburg beigesetzt.

Der Narromarsch wurde auf Tonträgern mehrfach aufgenommen;
erstmals im Januar 1953 in der Tonhalle mit Mikrofon und auf Schellackplatte mit 78U/min Tempo: 77-78 unter Franz Könitzer und Vertrieb bei Radio-Schöller
1964 im HGBS- Studio als Single- Platte 45 U/min unter Walter Müller mit Vertrieb bei Radio-Schöller.
Eine Aufnahme, die 1984 zum vermeintlichen 400-jährigen Jubiläum 1584 -1984 der Narrozunft von Johann Henninger vertrieben wurde, jedoch falsch benannt mit Kapellmeister Gerd Brüssow. Und schließlich 1995 mit  „‘s goht degege“, in den HGBS- Studios als Compakt- Disk mit Rupert Binder.

 

3 Gedanken zu „Villingens Narromarsch und Wilhelm Tempel sen.“

  1. Also, das ist ein Ding.
    Hervorragend recherchiert.
    Der Narro-Marsch läuft bei meiner Frau und mir im Exil
    jeden Fasnet-Mentig nach dem Frühstück und zwar in der
    Single-Versio von Radio-Schöller.
    In diesem Zusammenhang habe ich eine Frage:
    War da nicht mal was mit einer Gesangsschule Gertrud Tempel,
    wohl einer Tochter des Kapellmeisters ?
    Oder trügt mich meine Erinnerung?

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    • Gesangsschule Tempel…wohl möglich….mir aber nicht bekannt,
      …war dann aber wohl eine Tochter von Wilhelm Willy jun,
      denn der Alte starb 1937.

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