Vom Dorfschulmeister zum Stadtschultheißen   (Teil II)

Lehrer David Würth wird Schultheiß in Schwenningen – Ein populärer Weg zum ersten Bürger seiner Stadt

von Wolfgang Bräun

David Würth (1850-1929) blickt in seiner Autobiografie „Vom Dorfschulmeister zum Stadtschultheißen“ öfters auch auf „seine lieben Schwenninger“, als er mit 78 Jahren einen Rüchblick verfasst, der oft „von göttlicher Führung begleitet“! gewesen sei.

Als in Schwenningen nach 1871 das Vereinsleben mit Gewerbe-, Turn- und Musikverein sowie dem Liederkranz stark wurde, war Würth häufig mit gereimten Vorträgen präsent, was ihm längst zur Liebhaberei geworden war.

„Erhebende nationale Feiern“ beeinflussten Würths Gesinnung, die in Würths Gedichten gar beim Militärverein des Doktor Mögling intoniert wurden.

Würth war umtriebig, war Mitglied der Feuerwehr unter Kommandant Doktor Hachule, der zu den „Leuten des besseren Standes zählte, die früher vielfach auch Mitglied des Turnvereins waren“.

Den Korpsgeist bestimmte auch die Feuerwehrmusik, die zwar zur „bloßen Tanzmusik absank“, doch  Würth und der  frühere Militärmusiker Stoll aus Rottweil nahmen an den Proben teil und Würth übernahm später die Leitung des Vereins.

Altes Rathaus Schwenningen, als das größte Dorf in Württemberg mit 10.000 Einwohnern zur Stadt erhoben wurde.

Junge Musiker, die beitraten, so Würths Erinnerung, wurden von den Alten jedoch zunächst als 2. Klasse betrachtet. Denn es gab Honorar für die Tanzmusik und dazu eben den Futterneid.

Würth war überall dabei, auch als „Kanaria“ gegründet wurde: ein Verein für die Kanarienzucht seines Turnbruders Zirn. Und auch dem Radfahrverein, dem damals „nur die besseren Kreise angehörten“, widmete Würth ein Lied.

 

 

Als „Vater aller Vereine“ galt der Gewerbeverein, der 1849 von Fabrikant Johannes Bürk gegründet wurde.

Und auch hierzu sah sich Würth als Vereins-Bibliothekar wegen der  gediegenen Darbietungen samt seiner Lyrik hingezogen: „ … der Name Bürk, er lebe fort!“

Würth, eine  Vereinsmeier? Wohl schon, denn kein Verein schien ohne ihn auszukommen, auch nicht  der Gesangverein Frohsinn 1884, dessen Leitung Würth übernahm.

Einflussreich im einstigen Bauerndorf: Johannes Bürk (1819-1872) in Öl, gemalt von Johannes Jauch um 1855, Heimat- und Uhrenmuseum Schwenningen.

Es folgte die Gründung des evangelischen Kirchenchors, dessen spätere Ausflüge er bedichtete und besang.

Würth, der immer schon ‚Schulmeister‘ werden wollte, war jedoch nicht von Karriere getrieben und verzichtete auch wegen seiner Familie auf einen Ortswechsel, weil er sich weder von „seiner“ Schule noch von seinen Vereinen trennen wollte.

So wurde er 1879 in Schwenningen befördert und brauchte seine Kraft auch für eine seiner maximalen Klassen mit 90 (!) Schülern: „Deren Disziplin war schwer zu handhaben!“

Würth betont im hohen Alter seine einst aufreibende Arbeit, hatte sich aber nicht geschont und erteilte gar Privatstunden im Klavierspiel und in Französisch, denn Lehrer seien auf Nebenverdienst angewiesen gewesen.

Sein Jahresgehalt lag bei 1067 Mark und „reichte zur Führung des großen Haushalts bei weitem nicht aus“.

Eine Zeit, in der Würth auch ein typhus-ähnliches Leiden überstand, er auf den Reallehrer verzichtete, um auch Schwenningen nicht verlassen zu müssen.

Schließlich wurde Würth beruflich überrascht, was mit dem Schultheiß Müller zu tun hatte, der schon 27 Jahre im Amt war.

Dessen Schwiegersohn, Kaufmann Johann Würthner, fleißig und gewissenhaft, galt als Müllers Assistent bereits als „Vize-Schultes“, auch wenn Ratsschreiber Fausel dessen schärfster Gegner war.

Müllers Fehler: er beugte gegen einen geachteten Bürger dessen Recht und versteuerte seinerseits eigene Kapitalerträge nicht. Müller musste abtreten.

Für Würth keine Frage, dass der Revisionsassistent Kohler als gebürtiger Schwenninger das Amt übernehme, weil der auch bei Fausel „inscripiert“ habe.

Schönschrift des Verfassers als Widmung in seiner Autobiografie.

Doch Kohler galt mit 26 Jahren als zu jung, und so wandten sich „Männer mit sozialer und politischer Stellung“ an Würth. Den lockte zwar die Belohnung mit 1500 Mark jährlich, doch erst nach eigener „göttlicher Fürbitte und zu vermeidenden Ehrsucht“ stellte er sich am 6. Februar 1887 im „Blume-Saal“ den Wählern vor.

Sein Programm:

für die Gemeinde als große Familie soll „gleiches Recht für alle“ gelten. Die Jugend möge sich weiterbilden, wie der Gewerbe verein dies ermögliche. Die Stände der Arbeiter und Bauern, die noch benachteiligt sind, sind zu fördern. Also wolle er sein ein Fürsprecher für Arme und Notleidende, ein Berater der Hilfsbedürftigen, der vor Unrecht und Gewalt schütze.

Würth postuliert das Interesse der Handwerksberufe und das Wohl der Gemeinde. Und nicht zuletzt sei Sparsamkeit die Grundlage jedes geordneten Haushalts.

Fabrikant Mauthe stützte Würths Kandidatur, wobei für Würth unklar blieb, wie sich Kandidat Kohler zur gleichen Zeit im „Rössle“ präsentierte, wo dieser ebenfalls Beifall erntete.

Als in Schwenningen nach 1900 die Schlote rauchten – ein Vergleich zu 1860.

Zwei Tage später hatte Wahlleiter Oberamtmann Leipprand die Stimmen ausgezählt: von 985 Wahlberechtigten stimmten 450 Für Würth, Kohler erhielt 340 Stimmen.

Mangels der Zwei-Drittel-Mehrheit musste die Kgl. Kreisregierung den geeigneteren von beiden bestätigen.

Ein Testat von Prälat von Hermann, Würth sei treu, fleißig und eifrig und bewährt in strenger Pädagogik, führte zu Würths Investitur am 8. März 1887 im Bürgersaal des Rathauses.

Das Festessen fand im „Bären“ statt, abends folgte ein Bankett  in der „Neckarquelle“ mit Vertretern der Vereine.

Ohne den erkrankten Ratsschreiber Fausel und mangels Loyalität seines Amtmannes hatte Würth sich den Vorbehalt ausbedungen, auch wieder in den Schulstand treten zu können.

Doch Würth blieb standhaft trotz des Hochmutes und der Einbildung einzelner und Dank des Revisionsassistenten Kohler, der sein Gegenkandidat war.

Schwenningens schulen entwickelten sich gut und Pfarrer Schmid verfasste 1902 eine Ortschronik, worauf dieser Ehrenbürger wurde.

Bis 1912 schaffte es das einst ausgeprägte Bauerndorf zur Uhrenstadt, was auch Kommerzienrat Chr. Mauthe und dem Gewerbeverein zuzurechnen war.

Denn schon 1889 war an der vorderen Neckarstraße die Süddeutsche Uhrenfabrik entstanden, der Stoff der Bärenbrauerei erfreute sich besten Rufes und die geistige Nahrung boten die Tageszeitungen „Neckarquelle“ und die neue „Volksstimme“.

Es folgten die Karlsschule 1895/96, die erweiterte Mädchenschule im Metzgergässle und die Feintechnikschule 1910 und die Gartenschule 1910. Auf eigene Kosten errichtete Geheimrat Kienzle die Charlottenpflege.

Zu den Neubauten der Friedenskirche 1906 und der Paulskirche nebst Pfarrhaus (1910) dichtete Würth einmal mehr, und unter seiner Ägide wurde auch das neue Krankenhaus 1907 eingeweiht.

Ganz Schwenningen erhielt eine Wasserleitung und ein E-Werk, und als sozialer Fortschritt sah Würth das „Amazonen-Korps“, eine Frauenabteilung der Feuerwehr. Und schließlich der Höhepunkt für Würth: Schwenningen wurde mit 10.000 Einwohner am 1., Dezember 1907 zur Stadt erhoben, worauf er Neckarursprung  – „die Quelle schönster Gaben für das ganze Schwabenland“ – in einen würdigen Zustand versetzt wurde.

Würth fand als Pensionär noch viele weitere Gelegenheiten, seine Verse zu deklamieren, erlebte viel Freude in den Familien von vier Söhnen und zweier Töchter und wurde 1912 zum Ehrenbürger seiner Stadt ernannt.

 

Idee und Wirklichkeit: zur Stadterhebung wurde die Neckarquell neu gefasst.

 Repros: Archiv Bräun

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